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Kuscheldecke

Neues Album von John K Samson: „Winter Wheat“ ist unaufgeregt und groß

Kultur / Lesedauer: 3 min

Neues Album von John K Samson: „Winter Wheat“ ist unaufgeregt und groß
Veröffentlicht:24.10.2016, 16:57

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John K Samsons Songs sind wie eine Kuscheldecke: Man lässt sich gern davon einhüllen, wenn es grau, trist und kalt ist – ob draußen vor dem Fenster oder drinnen im Herzen. Mit „Winter Wheat“ (Anti/Epitaph) hat der kanadische Songschreiber, Gitarrist und Sänger sein zweites Soloalbum vorgelegt – ein musikalisches Juwel voll wärmender Melodien und poetischen Texten, die zwar emotional, aber niemals klischeebeladen sind.

Der Mann mit der unverwechselbar samtigen Stimme hat eine interessante musikalische Wandlung hinter sich. Griff er früher als Bassist bei den Polit-Punks von Propaghandi in die Saiten, entwickelte er mit seiner Band The Weakerthans eine ganz eigene Klangsprache. Da gab es zwar auch ein paar verzerrte Gitarren, mit der Zeit näherte sich der Indierock aber immer mehr dem Folk an. Die Band veröffentlichte 2007 ihr letztes Album, danach passierte nicht mehr viel, die offizielle Auflösung 2015 war da nur logisch. Auf „Winter Wheat“, das in einem kalten Winter im kanadischen Winnipeg entstanden ist und in Toronto gemastert wurde, sind nun zwei ehemalige Bandgefährten aus Weakerthans-Zeiten dabei: Bassist Greg Smith und Schlagzeuger Jason Tait. Doch musikalisch ist die Platte keine Rückkehr in die Vergangenheit. Bereits auf seinem Solodebüt „Provincial“ ging John K Samson 2012 extrem ruhig zu Werke, die Musik rückte gegenüber den Lyrics manchmal fast schon in den Hintergrund.

Die Stimme im Mittelpunkt

Auch diesmal konzentriert sich der 43-Jährige auf das Erzählen. Im Mittelpunkt steht seine so unverkennbare Stimme, die Instrumente sind extrem behutsam. Das geht gleich im Opener „Select All Delete“ so los, bei dem die Gitarre ein paar Akkorde beisteuert, das Klavier Töne hintupft und ein zurückgenommenes Schlagzeug ganz scheu den Rhythmus vorgibt. Beim Schreiben hat sich Samson wie bei vielen Titeln dieser Platte von der Literatur inspirieren lassen, in diesem Fall von einem Buch, in dem es darum geht, dass es Menschen gibt, die noch ohne Internet aufgewachsen sind und was man aus dieser Zeit in die Zukunft retten sollte.

Der „Postdoc Blues“ mit seinem Wissenschaftssujet wirkt mit seinem gemächlichen Beat wie eine Fortsetzung des Songs „When I Write My Masters Thesis“ vom Vorgängeralbum, sowohl textlich als auch musikalisch. Der Titelsong hat seine stärksten Momente im letzten Drittel, wenn sich Streicher und Gitarren umschlingen und eine melancholische Melodie erklingen lassen. Unter anderem bei diesem Song ist Samsons Frau Christine Fellows zu hören, die auch an der Produktion des Albums beteiligt war.

Unaufgeregt zum Ziel

Der Themenfundus des 15 Songs umfassenden Albums ist reichhaltig, in „Request“ geht es um die Geschichte einer isländischen Einwandererfamilie in Winnipeg, „Capital“ thematisiert die Schattenseiten fossiler Energienutzung. Auch ein wehmütiges Wiedersehen mit „Virtute“, der Katze, aus deren Perspektive zu Weakerthans-Zeiten etliche Songs geschrieben waren, gibt es hier. Wie sehr sich Samson als Erzähler versteht, wird besonders deutlich bei den Spoken-Word-Parts in „Quiz Night at Looky Lou’s“. Über allem schwebt der Geist das kanadischen Giganten Neil Young, dessen Album „On The Beach“ für Samson diesmal eine große Inspirationsquelle war.

Ein in sich gekehrtes Album, das gerade durch seine Unaufgeregtheit zu etwas Großem wird.