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Extremsituation

Mittendrin im Chaos

Kultur / Lesedauer: 3 min

Uraufführung bei den Bregenzer Festspielen: Peter Herberts „Trans-Maghreb“
Veröffentlicht:22.08.2014, 19:29

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Wer hat nicht gelegentlich schon über seine fiktive Reaktion auf Extremsituationen des Weltgeschehens spekuliert? Tägliche Horrormeldungen aus aller Welt provozieren geradezu Gedanken, was man wohl selbst in so einer Lage tun würde, mit der man hierzulande glücklicherweise kaum rechnen muss. Wie man sich tatsächlich benehmen würde, wäre freilich nur herauszufinden, wenn man gewollt oder ungewollt mit entsprechenden Umständen real konfrontiert wird.

Auf dieser Überlegung basiert Ran Arthur Brauns „interaktive“ Inszenierung des Musiktheaterstücks „Trans-Maghreb“ von Peter Herbert , das jetzt bei den Bregenzer Festspielen auf der Werkstattbühne uraufgeführt wurde. Braun möchte das Publikum regelrecht in die Handlung hineinführen, um erfahrbar zu machen, wie man sich als direktes Objekt der Ereignisse fühlen würde. Die überschlagen sich in „Trans-Maghreb“ immer wieder von einem Moment zum nächsten. Leider funktioniert das Konzept der „begehbaren Oper“ nur bedingt.

Herbert, der als Kontrabassist selbst mitspielt, hat eine hochaktuelle Vorlage von Hans Platzgumer vertont. Dessen gleichnamige Novelle ist vor zwei Jahren erschienen und schildert mit dichterischen Freiheiten eine reale Begebenheit des Vorjahrs. Der österreichische Bauträger Corwald, ein international agierneder Opportunist, der auch bedenkenlos Geschäfte mit Diktatoren macht, hat Ingenieure und Arbeiter zum Bau einer Hochgeschwindigkeits-Trasse in die libysche Wüste verfrachtet.

Mit Gaddafis Öldollars soll der Trupp das Eisenbahnprojekt mitten durch die Sahara verwirklichen. Völlig unerwartet bricht der „Arabische Frühling“ aus. Der im Westen vielfach als demokratische Rebellion missverstandene Aufstand entpuppt sich bald als blutiger Bürgerkrieg zwischen verfeindeten Clans und Milizen. Die Bauleute werden interniert, ihre Lebensmittel rationiert. Ohne Informationen, Arbeit und Verbindung zur Außenwelt sitzen sie fest in ihrem Container-Lager.

Konflikte brechen auf in der Gruppe. Hoffnung, Irritation, Resignation, Panik und Aggession prallen aufeinander. Dazu kommen Ausein-andersetzungen zwischen den Europäern und ihren arabischen Bewachern, die sich auch aus unterschiedlichen kulturellen Vorstellungen ergeben. Banknotenbündel werden von den schwerbewaffneten Kämpfern verächtlich ignoriert. Es gibt Überreaktionen und Tote. Am Ende organisiert der aalglatte Corwald vorgeblich die Rettung. Doch das Flüchtlingsschiff, das über das Mittelmeer die Heimat ansteuern soll, geht unter.

Überzeugende Sänger

Platzgumer hat seine Novelle zusammen mit Ingrid Bertel zu einem Libretto für Herbert umgearbeitet. Gesungen wird in deutscher Sprache. Es gibt aber auch arabische, französische, russische und türkische Einwürfe für die Mitglieder des Prager Philharmonischen Chors. Robert Maszl (Tiefbauingenieur Gerald), Wilfried Staber (Corwald), Stanislav Kuflyuk (Statiker Gerhard), Markus Raab (Geologe Gonzo), Juliusz Kubiak (Chauffeur Mahmoud) und besonders Sebastian Campione als witziger Pizzeria-Besitzer Abdullah machen ihre Sache hervorragend.

Die eindrücklichsten Momente schafft die palästinensische Sängerin Amal Murkus, die als arabische Fata Morgana europäischer Männerfantasien durch das Geschehen geistert und mit ihren unnachahmlichen orientalischen Koloraturen eine authentische Atmosphäre herbeizaubert. Ihr berührender Trauergesang über die in Holzsärgen liegenden „kollateralen“ Opfer der Kämpfe, aber auch das von Herbert dezent arrangierte Lied „Tahidaj“ („Wo ich bin, fühl ich mich wohl“) bleiben im Ohr.

Über weite Strecken wirkt jedoch Herberts Musik blass. Die Partitur für Streichquartett, Elektronik, E-Gitarre, Klarinette, Trompete, Schlagzeug und einige arabische Instrumente lässt Elemente aus Jazz und Minimal Music mit viel Improvisationsanteilen auf arabische Modi treffen, ohne kompositorisch zu vermitteln.

Benjamin Lack behält als versierter Dirigent die Übersicht im laienhaften Gewimmel der Produktion, bei der Darsteller und Publikum ständig ihren Standort im Raum wechseln.

Eine weitere Vorstellung von „ Trans-Maghreb “ gibt es heute, Abend um 18.30 Uhr.