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Kreativität

Leiden am Zwang zur Kreativität

Kultur / Lesedauer: 4 min

Neues Theaterstück von René Pollesch in Stuttgart uraufgeführt
Veröffentlicht:05.10.2014, 17:46

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Verstehen ist nicht alles: In seinem jüngsten Stück „Du weißt einfach nicht, was die Arbeit ist“, das am Kammertheater in Stuttgart erstmals inszeniert wurde, hält sich René Pollesch an sein Prinzip des unkonventionellen Theaters.

Man kann in René Polleschs Texten eine Schraube sehen, die sich immer weiter in den Untergrund dessen dreht, was im Theater dann auch noch verhandelt werden sollte: In Fragestellungen wie die, was all die Regisseure, Bühnenbildner und vor allem Schauspieler eigentlich treiben, wenn sie Abend für Abend auf der Bühne etwas darstellen, was so ganz und gar nichts mit ihnen selbst zu tun hat.

Mit dieser in der Regel ungemein komischen und ironisch gebrochenen, aber eben auch insistierenden Selbstbefragung des Theaters unter Nutzung derzeit angesagter Soziophilosophen wie Robert Pfaller und Slavoj Žižeks ist Pollesch stilbildend geworden. Er leuchtet unterirdische Räume des Kunstbetriebs aus und befasst sich unter anderem mit der Frage, ob das konventionelle Theater des Einfühlens in fremde Biografien und Geschichten unter Umständen nicht doch dem aktuellen Kreativitätswahn vorzuziehen sei, der das Theater umtreibt.

„Du weißt einfach nicht, was die Arbeit ist” umspielt den Zwangszusammenhang von Kreativität und Depression. Es geht um das Diktat der Ökonomie. Jeder Arbeitnehmer bis hin zum Sachbearbeiter in der Stadtverwaltung sollte doch bitte künstlerisch mit der Aktenlage umgehen. „Heutzutage wirst du permanent aufgefordert, kreativ zu sein, um in der Gesellschaft mithalten zu können” sagt Pollesch in einem Gespräch im Programmheft zur Uraufführung im Stuttgarter Kammertheater und verweist auf den Soziologen und Kulturwissenschaftler Andreas Reckwitz, demzufolge der Zwang zur Kreativität für viele in der Depression münde. Darum geht es dem 51-Jährigen schon seit einiger Zeit.

Nicht zuletzt wegen solcher Fragestellungen umschwärmen die Theater den Autor und Regisseur, der in Stuttgart auch deshalb eine große Fangemeinde hat, weil er hier seit der Schirmer- und Weber-Intendanz am Werke ist und die Bühne mit sich selbst befragenden Stadt- und Theaterneurotikern wie Harald Schmidt bevölkerte.

Jetzt, da Armin Petras die Schauspielintendanz übernommen hat, ist eine neue Crew am Werk. Die einzige mit Pollesch-Erfahrung ist Schauspielerin Astrid Meyerfeldt . Sie kennt dessen Arbeitsweise aus ihrer Zeit an der Berliner Volksbühne. Gespannt durfte man vor allem auf Peter Kurth sein, der gerade zum Darsteller des Jahres gekürt wurde. Kurth ist ein fundamentaler Einfühlungsschauspieler, der mit seiner stoischen Gelassenheit einen Text zum Klingen bringt. Das ist auch jetzt so, wenn er mit einer Bischofsmütze auf dem Kopf wie ein Buddha thront, Wörter verkostet und meint, er habe da so eine Idee, wie aus dem Stück, an dem sie gerade arbeiten, doch noch was werden könnte.

Und siehe da, auch Peter Kurths stoische Bühnenerscheinung passt wunderbar zum Pollesch-Theater und zu Astrid Meyerfeldt, Johann Jürgens und Christian Schneeweiß. Die vier von der Stuttgarter Theoriebaustelle eines Theaters nach der Postmoderne tun so, als würden sie allmählich einen Stücktext verfassen, der das Leiden der Gesellschaft und des Theaters am Kreativitätszwang verhandelt. Dazu gehört unter anderem Distanz zum eigenen Tun.

Pollesch ist ja auch Bertolt Brechts Theater der Verfremdung verpflichtet. Also rast Astrid Meyerfeldt raus aus dem geschlossenen Raum hinter der Wand, hinter der sich die Schauspieler immer wieder zurückziehen und von wo aus das Geschehen per Video übertragen wird. Dann wieder baut sie sich vor der großen Videoleinwand auf, die über einem für Pollesch-Verhältnisse eher karg möblierten Raum (Bühne: Janina Audick) schwebt, ruft ihr Divenpotential ab und wettert: „Ich hasse Video. Oh nein, wir spielen hier nicht diese Videokacke oder? Daran hat Tschechow bestimmt nicht gedacht, als er sich das Leben in zweihundert, dreihundert Jahren vorstellte.“

Schlaffer Hammer als Requisit

Auffälligstes Bühnenrequisit des aktuellen Pollesch-Abends ist ein riesiger Hammer. Er liegt als schlaffe Hülle auf dem Boden, wird irgendwann aufgeblasen und schwebt wie eine Erinnerung an bodenständige handwerkliche Arbeit über der Szene. Im Schwebehammer kann man, wenn man so will, auch einen Hinweis in Richtung jener in der Regel jungen Regisseure verstehen, die ihre eigene Kreativität derart überschätzen, dass sie fundamentale handwerkliche Regeln außer acht lassen und so wild in klassischen Theatertexten herumfuhrwerken, dass am Ende nicht Mal mehr sie selbst verstehen, was sie da tun. Auch für sie gilt, wie es in René Poleschs Stück heißt: „Kreativität war mal eine gute Sache, bevor sie in jedes mittelständische Selbst reinsickerte.“

Weitere Termine: 7., 9., 12., 13., 14., 17. Oktober sowie 9. , 10.November. Karten unter Tel. 0711/202090 oder im Internet unter www.schauspiel-stuttgart.de