Bohème
Künstler finden im norwegischen Holzhaus ihr Glück
Kultur / Lesedauer: 4 min
Regisseur Ole Anders Tandberg hat am Opernhaus Zürich „La Bohème“ neu in Szene gesetzt.
Paris – ein Traum für jeden Künstler, der Erfolg haben will. Und sei er auch noch so arm wie Dichter Rodolfo, der seine Schriften im Ofen verheizt, um für einen Moment Wärme zu haben. Auch für den norwegischen Regisseur Ole Anders Tandberg und seinen Bühnenbildner Erlend Birkeland war Paris einst die Stadt der Träume. In gewisser Weise haben auch sie das karge, aber fantasievolle Leben der Bohemiens kennengelernt und stellen es nun in ihrer Inszenierung von Puccinis Meisteroper „La Bohème“ am Zürcher Opernhaus nach.
Sie siedeln die Szene allerdings in einem norwegischen Volkshaus an, einer Art dörflichem Kulturzentrum mit kleiner Bühne: Der zweite Akt am Weihnachtsabend im Pariser Café Momus ist als Traumsequenz und reines Kopfkino ein Fest für die Kostümbildnerin Maria Geber. Tandbergs Ansatz ist interessant, geht nicht immer auf und ist doch am Ende sehr berührend. Musikalisch wartet diese Zürcher Premiere mit einem jungen teils prächtigen Sängerensemble auf, doch lässt Dirigent Giampaolo Bisanti das Orchester viel zu laut aufspielen und bringt die Sänger damit in Bedrängnis.
Da arbeiten also zwei vergeblich an ihren Projekten: Der Maler Marcello pinselt am Bühnenbild, der Darstellung des sich teilenden Roten Meeres, der Dichter Rodolfo tippt ein paar Buchstaben in die Schreibmaschine, hat sich zuvor aber anscheinend damit vergnügt, Manuskriptseiten zu Kartenhäusern und Papierfliegern zusammenzufalten. Der Musiker Schaunard und der Philosoph Colline, szenisch beide nicht näher berücksichtigt, ergänzen das Quartett der lebenslustigen Künstler mit den zotteligen Langhaarfrisuren. Mit Rotwein und Pizza zaubern sie ein Fest, der lästige Vermieter wird hinauskomplimentiert.
So weit, so nah an Puccini, seinen Textdichtern und den „Scènes de la vie de Bohème“ von Henri Murger. Wenn Mimi, das Mädchen mit dem eiskalten Händchen, in diese Welt des Dichters eintritt, ist sie vielleicht die Frau seiner Träume, die ersehnte und idealisierte Muse. Zusammen mit ihr erlebt Rodolfo die Liebe in einer winterlichen Postkartenidylle. Er träumt sich fort nach Paris, wo sich Lagerfeld, Coco Chanel, Picasso, Dali, Niki de Saint-Phalle, Rodin (mit einer lebenden „Denker“-Skulptur) und viele weitere Kreative der vergangenen beiden Jahrhunderte tummeln.
Brüche gehören bei Tandberg dazu
Das fröhliche Künstlertreiben wirkt im norwegischen Holzhaus etwas bemüht, spektakulär ist dafür der Auftritt der nun wieder „real existierenden“ Musetta im schwarzen Abendkleid. Brüche gehören also dazu in Tandbergs Inszenierung. Mimis Krankheit und Tod aber öffnen Rodolfo die Augen, an ihrem Totenbett beginnt er zu schreiben.
Dank Guanqun Yu, der chinesischen Sopranistin, die auch im vergangenen Sommer bei den Bregenzer Festspielen eine berührende Liu in „Turandot“ gesungen hatte, kann man den Einfluss, den Mimi auf Rodolfo hat, nachvollziehen. Bei aller Zurückhaltung strahlt sie Stärke, zugleich Einsamkeit und Zerbrechlichkeit aus. Ihre Stimme blüht nach anfänglicher Verhaltenheit auf, und in der letzten Szene geht endlich auch Dirigent Bisanti so weit zurück, dass sie ein schönes Pianissimo zaubern kann.
Unter der Wucht des Orchesters leidet auch Michael Fabiano als Rodolfo, dessen Tenor zunächst metallisch und eng wirkt, wenig Farben hat und erst nach und nach weicher klingt. Im Duett mit dem prächtigen Bariton von Andrei Bondarenko als Marcello schaukeln sich die beiden Stimmen hoch, passen nicht nur in der ersten Szene des letzten Akts gut zusammen. Die Beziehung des kauzigen Malers Marcello mit der glamourösen Musetta wirkt zwar nicht sehr glaubwürdig, aber stimmlich kann Shelley Jackson durchaus überzeugen, ebenso wie die anderen kleineren Partien.
Das Opernhaus Zürich hat für diese Produktion eine Reihe von neuen jungen Sängern ans Haus eingeladen und besetzt Musetta sowie Schaunard mit Mitgliedern des leistungsstarken Opernstudios. Der spielfreudige Chor in der Einstudierung von Ernst Raffelsberger glänzt vor allem im zweiten Akt. Im Verlauf der weiteren Aufführungen werden sich wohl auch die Balance zwischen Bühne und Orchestergraben und manche Wackler in der Koordination einpendeln.
Weitere Vorstellungen im November und Dezember. Infos und Karten finden sich im Internet unter: