StartseiteKulturJugendwort des Jahres: Läuft bei dir

Jugendwort

Jugendwort des Jahres: Läuft bei dir

Kultur / Lesedauer: 5 min

Puristen fürchten den Untergang des Deutschen – Wissenschaftler halten neue Wortschöpfungen für kreativ
Veröffentlicht:24.11.2014, 07:00

Von:
Artikel teilen:

„Läuft bei dir“ ist nach Information des Magazins „Focus “ zum Jugendwort des Jahres 2014 gewählt worden. Das bedeute soviel wie „Du hast es drauf“.

Offiziell will der Langenscheidt-Verlag das Jugendwort allerdings erst am Montag verkünden. Während der Verlag den Wettbewerb auch als Marketinginstrument nutzt, warnen Sprachpuristen angesichts von Wortschöpfungen wie „Bitch, please“ vor dem Untergang der deutschen Sprache.

„Ist das Deutsch schon so verdorben, dass man‘s kaum noch schreiben kann? Oder ist es ausgestorben, dass man’s spricht nur dann und wann?“ Diese Frage stellt sich der Dichter Hoffmann von Fallersleben schon Mitte des 19. Jahrhunderts. Der Mann, dem die deutsche Nationalhymne ihren Text zu verdanken hat, beklagt in seinem Gedicht „Lapidarstil“ den Untergang der deutschen Sprache. Zu viel Latein habe sich eingeschlichen, bedauert er.

Knapp 200 Jahre sind seit der Niederschrift des Gedichts vergangen. Latein ist schon lange nicht mehr cool. Doch die Klagen über den Untergang der deutschen Sprache sind geblieben: Die Jugend könne kein klares Deutsch mehr sprechen, komplizierte Schachtelsätze seien ausgestorben und die Grammatik werde bis zur Schmerzgrenze ignoriert, sagen die Kritiker. Mancher Wissenschaftler sieht das anders.

„Man kann Jugendliche als ,movers and shakers‘ der Sprache bezeichnen“, sagt Nils Bahlo von der Universität Münster. Junge Menschen unterziehen die Sprache seiner Meinung nach einem Schaffensprozess, spielen mit ihr und verändern sie. „Sie renovieren die Sprache und geben ihr einen neuen Anstrich“, erklärt der Jugendsprachforscher. Dabei würden sie das Alte aber nicht leugnen. „Egal, ob man das gut oder schlecht findet, es ist ein kreativer Vorgang, kein zerstörender“, so Bahlo.

Eine, die gerne neue Wörter erfindet, ist Sevda Derdiyok aus Wilhelmsdorf (Kreis Ravensburg). Wenn die 16-Jährige mit ihrem Bruder Computerspiele spielt, unterbricht sie das Spiel hin und wieder, um sich ihrer Mutter zu zeigen. „Ich sage ‚entfreakitisieren‘ dazu“, lacht Sevda. „Denn wenn meine Mama uns kurz sieht, dann glaubt sie, dass wir keine ,Freaks‘ sind, die den ganzen Tag am Computer sitzen und ist beruhigt.“

Abgrenzung vom Gewohnten

Der Bruch mit der gewohnten Sprachkultur ist auf dem Weg zum Erwachsenwerden ein wichtiger Schritt. Mit dem Beginn der Pubertät will man sich abgrenzen – provozieren. Gleichzeitig entsteht ein neues „Wir“-Gefühl. „Jugendliche schließen sich zu Gruppen zusammen, die eine identitätsstiftende Wirkung haben“, so Bahlo. Jede Gruppe habe ihre eigenen Sprachmuster. „Die Punks reden anders als die Nerds, und die Skater reden anders als die Hippies.“

So versteht auch Sevda Derdiyok (16) nicht immer, was andere sagen. „Es gibt Wörter, die muss ich erst mal im Internet suchen“, sagt sie. Mit ihren Freundinnen hat Sevda die Liste der Wörter studiert, die 2014 für die Wahl zum Jugendwort des Jahres nominiert sind (siehe Kasten). „Davon kennen und benutzen wir gerade mal drei“, meint Sevda. Nämlich: „Gönn dir!“, „Läuft bei dir“, und „Selfie“.

Das liege daran, dass Langenscheidt Wörter aus Deutschland, Österreich und der Schweiz für die Wahl sammelt, so der Verlag. Pressesprecherin Simone Kohl erklärt: „Einige der Wörter werden nur regional verwendet, andere in ganz Deutschland oder sogar darüber hinaus.“ Deshalb seien auch nicht alle Wörter überall bekannt. „Wir wollen mit dem Wettbewerb zeigen, wie ideenreich die Jugendlichen sind“, so Kohl.

Der Langenscheidt-Wettbewerb funktioniert folgendermaßen: Zuerst werden die Wörter gesammelt und im Internet veröffentlicht. Eine Online-Abstimmung zeigt dann, wie beliebt die einzelnen Begriffe sind. Hier kann jeder mitmachen und seine Stimme abgeben. Eine Jury kürt aus den 15 beliebtesten Begriffen das Jugendwort des Jahres.

Generell gebe es ohnehin nicht die eine Jugendsprache, sagt Sprachforscher Bahlo. Und Regeln schon gar nicht. Die Stile variieren je nach Bildungsstand, Region, Zeit und Situation. „Deshalb kann man Jugendsprache nicht lernen“, erklärt Bahlo, „sie funktioniert nur dort, wo sie authentisch ausgetauscht wird.“

Allerdings lassen sich allgemeine Tendenzen ausmachen, bei denen sich auch der Einfluss sozialer Medien wie Facebook zeigt. Dort ist kein Platz für lange Sätze und so verzichten Jugendliche auf einzelne Satzteile. „Wenn es schnell gehen muss, kürzen wir Sätze ab“, bestätigt Schülerin Sevda. Aus „Gehen wir ins Kino?“ wird „Gehn ma Kino?“. Die Verwendung von Abkürzungen ist noch so ein Fall: „Kein Plan“ wird zu „kp“, „Was machst du so?“ wird zu „wmds?“. Außerdem werden Aussagen intensiviert: Etwas ist „total krank“, „super geil“ oder „krass bescheuert“. Und: Der Wortschatz wird vulgärer – bei Jungs mehr, bei Mädchen weniger.

Trotzdem müsse man sich keine Sorgen um den Untergang der deutschen Sprache machen, beruhigt Nils Bahlo. Wie die Pickel verschwinden, verschwinden auch die pubertierenden Ausdrücke. Es ist ein Reifeprozess, den die Jugendlichen samt ihrer Sprache durchlaufen. Und der Prozess hat ein Ende. Also: „Gönn Dir!“

Das sind die Top 15 und ihre Bedeutung

Fappieren = Selbstbefriedigung bei Jungen

Hayvan = Tier (türkisch), spielt auf die positiven oder negativen Eigenschaften von Tieren an (z. B. treuer Freund)

Läuft bei dir = „Du hast es drauf“, Synonym für „cool“, „krass“

Immatrikulationshintergrund = Theoretiker, Studierter

Gönn dir! = „Viel Spaß dabei!“, „Gönn es dir!“

Fußpils = Bier für unterwegs

Bitch, please! = Lässige Antwort auf eine Selbstverständlichkeit oder einen Überraschungserfolg

Tebartzen = sich etwas Teures leisten

Selfie = Fotoselbstporträt

Assi-Stempel = Tätowierung

Minus = Nein

Lass Haare wehen = „Beeil dich!“

Obamern = abhören

Senfautomat = Klugscheißer

GOML (get on my level) = Ausdruck

Fahren Sie mit der Maus über die verschiedenen Jahre, um zu erfahren, was zum jeweiligen Jugendwort des Jahres gewählt worden ist.