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Flüchtlingsunterkunft

Interview zur Ausstellung „Temporäre Architektur“ in München

Kultur / Lesedauer: 5 min

Leiter des Architekturmuseums in München über Architektur, die nicht ewig halten muss
Veröffentlicht:13.09.2017, 18:50

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Beim Stichwort „temporäre Architektur“ denken viele an Flüchtlingsunterkünfte. Doch unter dem Begriff versteht man viel mehr. Das zeigt eine Ausstellung des Architekturmuseums in der Pinakothek der Moderne in München . Direktor Andres Lepik hat das Thema in Venedig auf der Architekturbiennale aufgegriffen und mit Beispielen aus unserer nächsten Umgebung angereichert. Denn die Stände auf dem Wochenmarkt sind nach ein paar Stunden auch schon wieder verschwunden. Christa Sigg hat mit Lepig über Festivals und feuerfeste Zelte, fromme Pilger und feierwütige Oktoberfest-Gänger gesprochen.

Herr Lepik , ob Camps oder Wohncontainer – temporäre Architektur hat nicht gerade den besten Ruf.

Auch das Zeltlager klingt immer negativ, das ist improvisiert, nicht stabil, und man hat dabei Massen von zusammengepferchten Menschen im Kopf. Architektur muss in der allgemeinen Vorstellung vor allem dauerhaft sein, das wird schon in der Antike etwa von Vitruv gefordert. So hat sich die Profession ja auch legitimiert: Gebaut wird aus Stein, Ziegel oder Stahl. Doch das Temporäre gehört von Anfang an zur Menschheit und schließlich zu unseren Städten. Man sieht es nur nicht oder redet nicht darüber. Und es spielt weder in der Architekturtheorie noch in der Ausbildung eine Rolle.

Dabei ist für zeitlich begrenzte Aufbauten Knowhow gefragt.

Man wundert sich wirklich, wie das indische „Kumbh Mela“-Fest alle zwölf Jahre gestemmt wird. Über 30 Millionen Pilger wollen nicht nur ein „Bad in der Unsterblichkeit nehmen“ und sich damit zugleich von ihren Sünden befreien, diese Menschen brauchen auch Unterkünfte, Essen, medizinische Versorgung, Toiletten oder Sicherheitspersonal, das den reibungslosen Ablauf regelt. Dabei ist vorher noch nicht einmal klar, welche Stelle des jeweiligen Flussbetts für diese Megastadt in Frage kommt. Es muss also alles sehr schnell gehen. Und wenn das Fest nach anderthalb Monaten vorbei ist, kommt der Fluss mit Hochwasser, und im nächsten Jahr wird auf der Fläche wieder Landwirtschaft betrieben.

Die Menschen nehmen dafür einiges in Kauf.

Sicher, da gibt es ein großes Bedürfnis, und mit dem Eintauchen in eine andere „bauliche“ Welt, fallen auch gewisse Regeln weg. Diese Freiheit tut vielen gut, nehmen wir nur das Oktoberfest , das allerdings aus dem Rahmen fällt. Denn die Stadt München mit ihrer Wohnungsnot leistet sich den Luxus, die Theresienwiese den Rest des Jahres leer zu lassen.

Interessant wird das Temporäre doch, wenn es an Qualität gewinnt.

Das ist der entscheidende Punkt, und dafür gibt es ein schönes Beispiel aus Saudi-Arabien. Jeder Moslem sollte einmal im Leben nach Mekka pilgern, also den Hagsch absolvieren. In den 1950er-Jahren stieg die Zahl aber so sehr an, dass es teilweise zu Massenpanik und fürchterlichen Unfällen kam.

Inzwischen brauchen die Muslime ein Visum.

Ja, aber dass es in Mekka so gut funktioniert, hat mit einem schwäbischen Tüftler zu tun. Der Architekt Bodo Rasch wurde 1974 vom saudischen König mit einer Untersuchung beauftragt, wie man den Hadsch sicherer gestalten kann. Der Stuttgarter, der gleich selbst zum Islam konvertiert ist, entwickelte Zelte aus nicht brennbaren Teflonfasern und ein System für die Aufstellung, das eine schnelle Evakuierung möglich macht. Für Medina konstruierte er solarbetriebene Riesenschirme, die sich tagsüber zum Sonnenschutz für die Pilger aufspannen und nachts wieder zusammenziehen. Getestet hat er den Prototyp übrigens auf der Schwäbischen Alb und produziert wird bis heute in Baden-Württemberg. Das ist intelligente Globalisierung. Bezeichnenderweise hat Rasch bei Frei Otto gelernt, der sich die kühne Zeltdachkonstruktion fürs Münchner Olympiastadion ausdachte. In solchen Leichtbauarchitekturen steckt überhaupt ein unglaubliches Potenzial.

Wie sehr sollte man das Temporäre denn bei der Stadtplanung mitdenken?

Wir brauchen Raum für Experimente, für flexible Baustrukturen, um auch kurzfristiges Wohnen möglich zu machen. Das geht nur, wenn nicht jeder Quadratzentimeter zubetoniert ist. Als die Flüchtlinge 2015 zu uns kamen, wurde sofort die große Krise ausgerufen. Architekturbüros und Hochschulen haben sich mit Studien und Ideen zu Flüchtlingslagern nur so überschlagen.

Dabei ist das Thema nicht ganz neu.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Wohnraum für Millionen von Kriegsflüchtlingen geschaffen. In den 1990er-Jahren sind dann rund 350 000 Flüchtlinge aus Jugoslawien gekommen. Die mussten ja auch untergebracht werden. Diese Themen kommen immer wieder – und jedes Mal stehen alle ratlos da und sagen, wir müssen jetzt Flüchtlingslager konzipieren.

Allein im letzten Jahr waren weltweit 63 Millionen Menschen auf der Flucht.

Die Menschen, die übers Mittelmeer nach Europa kommen, sind ja nur die Spitze des Eisbergs. Innerhalb Afrikas sind sehr, sehr viele Menschen auf der Flucht, und Hunderttausende wandern derzeit von Venezuela nach Kolumbien. Wenn Architekten ihre ethische Verantwortung ernst nehmen, müssen sie Lösungen entwickeln, die nicht nur hier in der Mitte Europas passen. Das heißt, wir brauchen temporäre Bauten, die weltweit eingesetzt werden können. Architekten wollen doch immer global tätig werden, das wäre die Gelegenheit!

Ausstellung „ Does Permanence Matter? Ephemeral Urbanism“, bis 18. März 2018 in der Pinakothek der Moderne München, Di bis So 10 bis 18, Do bis 20 Uhr, Begleitheft (engl.) 25 Euro