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Nachkriegskino

Interview: „Es steckt viel NS-Ästhetik im deutschen Nachkriegskino“

Kultur / Lesedauer: 6 min

Interview: „Es steckt viel NS-Ästhetik im deutschen Nachkriegskino“
Veröffentlicht:21.02.2017, 20:01

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Ravensburg (bami) - Filme waren für die Nationalsozialisten eines der wichtigsten Massenkommunikationsmittel. Der Filmkritiker Rüdiger Suchsland spürt in seiner Filmdokumentation „Hitlers Hollywood “ den perfiden Methoden der NS-Propaganda nach.

1000 Filme sind bei der UFA in der NS-Zeit entstanden. Etwa 500 davon sind Komödien. Einfach nur leichte Unterhaltung? „Es gab damals keinen Film, der kein Propagandafilm gewesen wäre“, sagt Rüdiger Suchsland, Filmkritiker auch dieser Zeitung, im Gespräch mit Barbara Miller. In seinem jüngsten Filmessay hat Suchsland „das deutsche Kino im Zeitalter der Propaganda von 1933 bis 1945“ untersucht. In „Hitlers Hollywood“ arbeitet er deutlich heraus, wie die Nationalsozialisten auch in scheinbar harmlosen Unterhaltungsfilmen die Menschen ideologisch manipulierten.

Die zentrale Figur der Filmpolitik war Propagandaminister Joseph Goebbels . Wie ist es ihm gelungen, seine Ideen und die NS-Ideologie durch das Medium Film zu verbreiten?

Es gibt im Dritten Reich keine Filme, die nicht Propagandafilme waren. Es gab eine totale Zensur – vom Drehbuch bis zum Filmplakat. Die Filmindustrie war durchsetzt mit Spitzeln. Goebbels hat wie besessen für den Film gearbeitet, jede Wochenschau, jeder Film wurde von ihm persönlich abgenommen. Man muss auch sagen, dass er ein Filmkenner war und manchmal auch einen guten Geschmack hatte. Er hat zum Beispiel den poetischen Realismus von Jean Renoir gemocht. Und Hitler war ein Filmjunkie. Für beide war Film das wichtigste Kommunikationsmittel mit den Massen.

Wie lässt sich in einem „harmlosen“ Musikfilm wie „Wunschkonzert“ oder einem Revuefilm wie „Wir machen Musik“ die NS-Ideologie erkennen?

Am Film „Wunschkonzert“ von 1941 mit Carl Raddatz und Ilse Werner kann man das gut zeigen. Ilse Werner wollte den Film ursprünglich nicht machen, weil ihr klar war, dass das ein Propagandaschinken werden würde. Es ist die Geschichte eines Piloten, gespielt von Carl Raddatz, der sich während der Olympischen Spiele 1936 in eine junge Frau (Ilse Werner) verliebt. Der Film mündet im Krieg gegen Frankreich von 1940 und erzählt nebenbei noch die Geschichte der Legion Condor. Gleichzeitig ist der Film ein Werbefilm für das wöchentliche Wunschkonzert. Da gehen pseudodokumentarische Aufnahmen in die Spielfilmhandlung über. Da steht zum Beispiel Marika Rökk auf der Bühne und singt „In einer Nacht im Mai, da kann so viel passieren“ und vor ihr sitzen Wehrmachtsoldaten. Dann kommt eine Überblendung zu Wochenschauaufnahmen und man sieht Panzer beim Vorrücken im Westen. Die Botschaft ist: Wir müssen die Truppen unterstützen.

„ Revuen sind Opium fürs Volk und bedienen den Illusionismus“, heißt es im Film. Aber bedient Kino nicht immer die Sehnsucht, zu vergessen, zu träumen?

Kino ist immer Eskapismus, schafft Illusionen. Und Revuefilme gab es ja auch schon in der Weimarer Zeit. Kracauer hat über das „Ornament der Masse“ einen klugen Aufsatz geschrieben. Große Menschenballette in uniformer Kleidung hat es lange vor Riefenstahl gegeben. Aber: In Hollywood-Filmen tanzten die Herren in Frack und Zylinder, die Damen im Abendkleid über die Bühne. Bei Riefenstahl sind das keine Fantasieuniformen, sondern echte.

Aber bei „Wir machen Musik“ tanzen die Protagonisten auch im Cocktailkleid über den riesigen Flügel!

Ja, der Film ist ja auch von Helmut Käutner! Er war kein Widerständler, aber auch kein Nazi. In „Wir machen Musik“ setzt er dem soldatischen Männerbild etwas Ziviles entgegen. Damit unterläuft er das von den Nazis vertretene Ideal des starken Mannes. In „Wir machen Musik“ stehen die Männer unterm Pantoffel.

Sie sagen: „Es gab keine Unschuld. Die Mär vom unpolitischen Künstler ist falsch.“ Aber es gibt doch Unterschiede , wie sich die Regisseure in den Dienst der Nationalsozialisten gestellt haben. Veit Harlan, Wolfgang Liebeneiner, Helmut Käutner – wie haben sie sich verhalten?

Es gibt klare Propagandafilme wie die von der Riefenstahl oder „Hitlerjunge Quex“. „Jud Süß“ ist ein Entgrenzungsfilm, der die Werte der Moral brechen und zeigen will, warum wir, die Zuschauer, uns die Hände schmutzig machen müssen für die „gute“ Sache. Das ist perfide Propaganda. Harlan war da die Nummer eins. Der Käutner war kein Regimegegner, aber auch kein Nazi. Er hat quasi Filme in Nischen gemacht und sich weitgehend den Nazistereotypen verweigert. Bei ihm fallen vor allem die schwachen Männer auf. Zum Beispiel Hans Albers spielt in „Große Freiheit Nr.7“ einen gebrochenen Mann. Das ist eigentlich Amoral pur für die Nazis. Liebeneiner hat auch Propagandafilme gemacht wie „Ich klage an“, in dem Euthanasie mit der Sterbehilfe verbunden wird. Er war kein Nazi, aber ein eiskalter Opportunist. Er hat den bis heute unter Vorbehalt stehenden Film „Großstadtmelodie“ mit Hilde Krahl gemacht. Darin porträtiert er eine moderne Frau im modernen Berlin. Aber in den letzten zehn Minuten schwenkt der Film um. Die Heldin besucht eine Goebbels-Rede, klatscht begeistert. Wir sehen Aufnahmen vom verschwundenen Berlin, aber eben auch einen von Naziinsignien kostümierten Film.

Selbst wer in den 1950er- oder 1960er-Jahren geboren ist, kennt viele von den Filmen, aus denen Sie Ausschnitte zeigen. Die Lieder von Zarah Leander gehören zum Kernrepertoire singender Dragqueens. Wieviel NS-Ästhetik steckt im deutschen Nachkriegsfilm?

Es gibt keine Stunde Null. Harlan und viele andere haben nach dem Krieg viele Filme gedreht. Und die Stars waren ja auch dieselben. Es steckt viel NS-Ästhetik im deutschen Nachkriegskino. Zum Beispiel Heinz Rühmann. Über ihn könnte man einen eigenen Film machen und zeigen, wie kompromittiert dieser Mann ist. Er hat einige Propagandafilme gemacht, darunter die „Feuerzangenbowle“ – der gar nicht so lustig ist, sondern Autoritätshörigkeit verherrlicht.

Warum kommt dann gerade dieser populäre Film in Ihrer Dokumentation nicht vor?

Der kommt deswegen nicht vor, weil die Rechte der AfD-Vorsitzenden von Münster gehören, die einen kleinen Filmverleih hat. Als wir sie nach den Rechten gefragt haben, kam ein unverschämter Brief zurück, in dem sinngemäß stand, an meinem Film sehe man, wie es mit Deutschland bergab geht. Ich habe keine Lust, einen Cent an die zu zahlen.

Was gab den Anstoß für „Hitlers Hollywood“?

Es gab zwei Anstöße. Man hat sich mit der NS-Zeit historisch, politisch, moralisch auseinandergesetzt. Aber vernachlässigt hat man meines Erachtens, dass der Nationalsozialismus auch ein ästhetisches Phänomen war. Es ging um Verführung. Und das Regime hat über Ästhetik – über Filme, über Radio, über Musik, über die „performance“ – kommuniziert mit seiner Bevölkerung. Und die Bevölkerung hat sich durch Ästhetik verführen lassen.

Der andere Anstoß war: Es gab in den letzten neun Monaten der NS-Zeit Selbstmordwellen. Darüber haben vor allem britische Historiker, zuletzt Ian Kershaw in „Das Ende“, geschrieben. Es gab Hunderttausende, die sich umgebracht haben. Und das waren längst nicht alle Täter. Das wird bis heute tabuisiert. Ich frage am Ende des Films, ob diese Selbstmordwellen nicht darin begründet sein könnten, dass das gesamte Dritte Reich wie ein Film funktioniert hat. Als die Versprechen, die die Nazis gemacht haben vor allem im Kino eingelöst wurden – Utopien, Happy End, Erfolge, Siege. Vielleicht haben sich manche von denen, die sich umgebracht haben, auch deswegen umgebracht, weil sie diesen Film nicht verlassen wollten, weil sie nicht aus den Illusionen aussteigen wollten.