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Spielzeiteröffnung

Gounods Oper „Faust“ am Ulmer Theater

Kultur / Lesedauer: 4 min

Matthias Kaiser bietet mit Gounods Oper „Faust“ am Ulmer Theater eine perfekte Inszenierung
Veröffentlicht:01.10.2017, 19:48

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Einen staunenswerten Kraftakt hat das Theater Ulm jetzt zur Spielzeiteröffnung mit einer Produktion von Charles Gounods Oper „Faust“ bewältigt. Zum Auftakt seiner letzten Saison an diesem Haus konnte Intendant Andreas von Studnitz bei der Premiere dem Publikum auch die neue Bestuhlung zum Probesitzen anpreisen. Der dreieinhalbstündige Abend gab dazu ausreichend Gelegenheit. Mehr Bequemlichkeit und Beinfreiheit bieten die modernen Sessel allemal. Matthias Kaisers ausgereifte Inszenierung lässt sich da gleich doppelt genießen.

Von oberflächlichem Genuss kann bei Gounods Fünfakter nach Goethes gleichnamiger Tragödie freilich keine Rede sein. Allzu dominant ist in diesem 1859 uraufgeführten Stück die Rolle des bösen Verführers Méphistophélès, der ohne szenischen Gegenspieler seine Opfer ins Verderben führen kann, weil er ihre Schwächen nur zu gut kennt. Das Libretto von Jules Barbier und Michel Carré verweigert die finale Bestätigung der Rettung von Marguerite. Auch Gounods Musik lässt diese Frage letztlich offen.

Abwechslungsreiches Bühnenbild

Dirk Immichs Bühnenbild setzt auf Abwechslung und nimmt dafür recht lange Umbaupausen in Kauf. Zur Ouvertüre deutet eine mathematische Formel des Physikers Werner Heisenberg auf dem Vorhang Fausts Status als Wissenschaftler an. Ihn sehen wir dann als verschrobenen Gelehrten hinter einem Schreibtisch, auf dem das düstere Licht einer Arbeitslampe ein altes Radiogerät, Zeitungen, Bücher und Pornomagazine erkennen lässt. Mit Tabletten will sich der lebensmüde Titelheld (sensa-tionell: Eric Laporte) umbringen.

Aus dem Radio quellen lebensfrohe Gesänge. Faust schlägt auf das plärrende Plastikteil, doch es reagiert nicht. Schon Gounod hat diese Szene durchaus humoristisch angelegt. Bei Kaiser erscheint Mephisto (brillant: Tomasz Kaluzny) als eitler schwuler Friseur, schiebt Fausts Bibel weg und lockt ihn wahlweise mit der Aussicht auf Reichtum, Ruhm oder ewige Jugend. Letztere verfängt bei dem verwahrlosten Gesellen, auch wenn er sich irritiert zeigt, dass sein schäbiger Morgenmantel nach diesem Besuch verkokelt riecht.

Die nächste Szene zeigt eine Turnhalle inmitten von tristen Plattenbauten eines französischen Banlieus. Klamotten und Frisuren (Angela C. Schuett) suggerieren ein Vorstadtprekariat mit hohem Migrantenanteil. Mephisto lockt in lokaler Tristesse mit hohlen Versprechungen, zaubert mit rötlichem Licht und Qualm Wein aus einer dreckigen Mülltonne und verteilt freigiebig Banknoten. Nur Marguerites Bruder Valentin (großartig: Kwang-Keun Lee), Spross nordafrikanischer Zuwanderer, misstraut dem Volksverführer und seinem Falschgeld.

In Ulm gibt diese Szene ein triftiges Bild für die Lenkbarkeit der Masse durch populistische Rattenfänger ab. Mit mimimalem Fingerschnippen und hämischer Mimik dirigiert Mephisto die für Fakes und falsche Werte anfällige Bagage. Wie aus dem Ei gepellt von seinem neuen Partner kommt Faust hinzu und verguckt sich in die sittsame Erzieherin Marguerite (berückend: Edith Lorans). In ihrem schlichten Zimmer hängen Kinderbilder neben Fotos vom Bruder und vom Papst. Mephisto testet ihr Bett auf Sextauglichkeit. Später tauscht die Ahnungslose die nach Schwefel riechende Decke aus.

Fabelhafte Solisten

Gegen Gewissensbisse setzt Mephisto schnell noch ein Raumspray ein. Als es mit seinen beiden Probanden klappt, setzt er sich wie in einer Peepshow vor den verengten Guckkasten der Bühne. Marguerites Gebetsszene zeigt Kaiser als Traum, der in einen üblen Alptraum mündet. Mephisto erscheint als Priester mit umgekehrten Kreuzen auf seiner Robe, begleitet von schrecklichen Mumien. Valentins harte Reaktion auf Marguerites „Verfehlung“ wird verblüffend plausibel als Verteidigung der Familienehre eines Immigranten inszeniert.

Joongbae Jee lässt exquisit musizieren. I Chiao Shih in der Hosenrolle des Sièbel und Christiane Bélanger als mansstolle Marthe ergänzen das fabelhafte Solistenensemble mit ebenbürtigem Gesang und Spiel. Die Kerkerszene hat Kaiser in eine psychiatrische Anstalt verlegt. Ein surreales Bild zeigt Marguerites zerbrochene Wirklichkeit. Ihr Bettrost steht aufrecht neben anderen Fragmenten ihrer Geschichte. Zum Engelschor der finalen C-Dur-Apotheose fantasiert sie ihre Rettung, umarmt Mephisto und wird von den Monstern ihres Alptraums eingeholt. Faust nimmt doch noch seine Tabletten.

Weitere Vorstellungen: 1., 3., 6., 13., 18., 20., 25. und 28. Oktober; 25. und 30. November. Karten unter Telefon 0731/161 4444 oder www.theater-ulm.de