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Kultur / Lesedauer: 3 min

Bad Saulgauer Gespräche fragen nach der regionalen Baukultur in Oberschwaben
Veröffentlicht:01.03.2015, 19:11

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Beim Essen ist die Sache klar: Regional geht vor global. Die besten Noten vergeben Gastrokritiker gern jenen Köchen, die internationale Küche regional interpretieren. Aber gilt das auch fürs Bauen? Was ist „regionales Bauen“? Gibt es das überhaupt? Diese Fragen stellte die Gesellschaft Oberschwaben bei den 5. Bad Saulgauer Gesprächen zu Kunst und Kultur. 120 Zuhörer fanden sich am Samstag – trotz schönsten Wetters – im Stadtforum von Bad Saulgau ein, um zu erfahren, was die fünf Fachreferenten beizutragen hatten zum Thema „Alles globalisiert! Neue Chancen für ein zeitgenössisches regionales Bauen in Oberschwaben?“

Nach Spuren suchen

Die Veranstaltung begann mit Fragen und endete mit Fragen. Uwe Degreif , der vergangenes Jahr die große Bestandsaufnahme zur Kunst in Oberschwaben im 20. Jahrhundert kuratiert hatte, vermutete schon in seiner Eröffnungsrede: Für einen regionalen Baustil lassen sich womöglich ebenso wenig Belege finden wie für eine typisch oberschwäbische Kunst im 20. Jahrhundert. Nach den Referaten lag der Schluss nahe.

Joachim Scheible hat in seiner jahrzehntelangen Arbeit als Sanierungsbeauftragter für Ravensburg, Bad Saulgau und Wangen die Erfahrung gemacht, dass zwar den meisten Häusern in den historischen Altstädten der „alemannische Ständerbau“ zugrundeliege, dass der aber schon zwischen Ravensburg und Saulgau unterschiedlich interpretiert wurde. Es gibt eine lokale Tradition, aber keine regionale.

Georg Zimmer, ehedem Bau- und Kulturbürgermeister in Leutkirch , zeigte bei seiner Spurensuche in Leutkirch und Wangen: Die Städte waren nie statisch, die Menschen haben sich und ihre Häuser oder Arbeitsstätten ständig den veränderten ökonomischen oder sozialen Entwicklungen angepasst, freilich durchaus in bestimmen Grenzen. Wo traufständig gebaut wurde, wurde traufständig erweitert. Wo die Häuser mit den Giebeln zur Straße stehen, wurde das auch bei Einfügungen beibehalten. In Leutkirch wurde anders gebaut als in Wangen. Ein prachtvolles Patrizierhaus wie den Wangener Hinderofen-Palazzo im Stile der Renaissance gibt es im dörflich geprägten Leutkirch nicht. Und „globalisiert“ war auch die Vergangenheit: Die Wangener verpassten ihrem alten gotischen Rathaus eine üppige Rokokofassade, wie sie auch in Bayern stehen könnte. Baumeister aus Vorarlberg oder Italien haben ihre Kenntnisse, ihre Handwerkskunst aus der Ferne hierhergebracht. Regional contra global? Es war immer eine Synthese.

Was heißt das für die moderne Stadtentwicklung? Für Christian Storch vom Stadtplanungsamt in Ravensburg wie für den Biberacher Baubürgermeister Christian Kuhlmann bedeutet das: Regionale Identität kann man nicht herstellen, indem man „regionale Bilder nachbaut“. Also: Tradition nicht negieren, aber mit neuen Formen auf die alten reagieren.

Nun ist Oberschwaben nicht nur für seine relativ geschlossenen historischen Stadtkerne bekannt sondern vor allem für seine Dörfer und Höfe. Aber selbst beim Urtyp, dem „Altoberschwäbischen Bauernhaus“, lasse sich keine rein obershwäbische Bautradition festmachen. Zu diesem Schluss kam in seinem Vortrag der Historiker Jürgen Kniep, Leiter des Kreisarchivs Biberach und Chef des Oberschwäbischen Museumsdorfes Kürnbach.

Erfundene Tradition?

Er brachte den interessanten Aspekt ein, dass die Beschäftigung mit diesen ländlichen Bauformen zu Anfang des 20. Jahrhunderts in Berlin besonders intensiv war. Die Menschen spürten die Auswirkungen der Industrialisierung und wandten sich der Vergangenheit zu. Schwarzwaldhaus und Jodelbalkon als Ausdruck der Sehnsucht eines städtischen Bürgertums nach der (vermeintlich) heilen bäuerlichen Welt. Ist Regionalität in der Baukunst also womöglich nur ein Konstrukt? Eine erfundene Tradition wie Kilt und Lederhose? Und was heißt das für die Gestaltung der Umwelt – für Altstädte, für Neubau- und Gewerbegebiete? Ein weites Feld. Die Gesellschaft Oberschwaben sollte dran bleiben. Das 5. Saulgauer Gespräch konnte nur ein Anfang sein.