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Mehlsoße

Flamingo an Mehlsoße

Kultur / Lesedauer: 3 min

Flamingo an Mehlsoße
Veröffentlicht:22.12.2014, 18:24

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Jörg Zipprick schreibt eine Kulturgeschichte der Köche und des Geschmacks.

„Enthäute den Flamingo, verschließe ihn in einem Topf mit Salz, Dill, Lauch und Koriander.“ Das Flamingo-Rezept könnte von den fidelen Monty Pythons sein. Vor allem der Hinweis am Schluss: „Das gleiche mache mit dem Papagei.“ Flamingo und Papagei werden anschließend unter einer Stärkemehl-Soße begraben. Das Rezept ist allerdings 2000 Jahre alt und geht auf einen römischen Oligarchen zurück.

Die „Kulturgeschichte der Köche“, die derart fluffig beginnt, schreitet mit Liebe zum Kuriosen voran und endet in einem Küchen-Massaker. Denn der Autor, Jörg Zipprick, ist von einem begeisterten Restaurant-Tester zu einem ebenso begeisterten Kritiker der Lebensmittelindustrie geworden.

Liest man das süffige, aber nicht sonderlich gründlich recherchierte Buch von vorne nach hinten, ist es ein Defilee der großen Namen. So enthält es auch ein ehrendes Andenken an das Waldhorn in Ravensburg und an den 2013 verstorbenen Albert Bouley , der hier eine west-östliche-Küche pflegte. „Ein kurzer Trend in den Neunzigerjahren“, wie Zipprick schreibt. „Jahr für Jahr wusste Bouley die Tester zu überraschen, er setzte sichere Geschmacksnerven und höchste Sensibilität voraus.“ Freilich konnte Bouley nicht verhindern, dass diese Kunst inzwischen plump imitiert wird. Was damit endet, dass heute jedes In-Cafe, dessen Küchenpersonal andere Ausbildungshintergründe hat als Grand Hotel Mürren oder Eden au Lac Montreux, die altrömische Mehlpampe „mit Zitronengras aufpeppt“.

Liest man das Buch im Wissen, wo und wie es endet, dann bekommt man eine höchst sprunghafte Geschichte der Lebensmittelindustrie mit. Sie hat sich aus der Kriegsküche entwickelt. Bei der Belagerung von Paris 1870 durch die deutschen Truppen wurden noch veritable Zootiere verarbeitet. Zipprick serviert ein Menü aus einem der edelsten Restaurants in Paris: „Kamel gebraten nach englischer Art“.

Leider setzt Zipprick mit kühnem Sprung über den Ersten Weltkrieg hinweg, als sich die Oberste Heeresleitung als Erfinder von Ersatzstoffen betätigte. Dafür landet er zielsicher im italienischen Futurismus, der 1930 ein Manifest der futuristischen Küche verkündete. „Nehmen wir die Chemie in die Pflicht: Sie soll dem Körper schnell die notwendigen Kalorien zuführen, Pulver, Pillen, eiweißartige Stoffe, synthetische Fette.“

Von hier ist es nur ein kleiner Schritt für den Autor bis zu einem Rezept wie diesem: „Man nehme 100g E 953, 1,5 g E 473 und 1,5 g E 475 und eine Bohrmaschine mit rundem Aufsatz.“ Ferran Adria, der Erfinder der Molekularküche, war für einige Jahre das Maß aller Dinge, wurde als weltbester Koch gefeiert, als Ehrendoktor, als Künstler unter den Köchen. Die Kasseler Documenta hat 2007 sein katalanisches Lokal zum Ausstellungsort gemacht. Hier konnte man die „dekonstruktive Küche“ erfahren, die Aroma, Präsentation und Konsistenz durcheinanderwirbelt: Olivenöl wird zur Spirale, Schinken zu Schaum, Melone zu Kaviar.

Was Zipprick kritisiert, ist nicht die Denaturierung der Produkte, sondern die Irreführung mit der Originalität. Köche, die vorgeben, ihre Kreationen im Labor zu entwickeln, schreibt er, verwenden Produkte der Lebensmittelindu-strie: genauer gesagt eines Forschungsprojekts der EU. Eine Tabelle im Buch listet die beteiligten Unternehmen und die Aufteilung der Gelder auf.

Das Ende des Buches tut einen Blick in Teufels Küche. Es beschreibt die Allgegenwart der Industrieprodukte. Der Bogen des Vorgekochten spannt sich von Schulküche, Mensa, Betriebskantine, Hotelküche, Kneipe bis hin zum gehobenen Restaurant und zum Luxuslokal, wo Qualität und Frische einst zum Ehrenkodex gehörten. Auch die Wahrheit der Speisekarte kann nicht als selbstverständlich vorausgesetzt werden. Känguru macht’s Äuglein zu und taut als Rehrücken auf.

Jörg Zipprick: Die Erfinder des guten Geschmacks – Eine Kulturgeschichte der Köche. Eichborn Verlag. 382 Seiten. 19,99 Euro.