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Filmkritik: „Personal Shopper“ ist virtuoses Kino

Kultur / Lesedauer: 4 min

Filmkritik: „Personal Shopper“ ist virtuoses Kino
Veröffentlicht:16.01.2017, 18:46

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Eine junge Frau sucht den Kontakt zu ihrem toten Bruder. Doch Olivier Assayas’ neuer Film „Personal Shopper“ ist nicht bloß ein Thriller mit spiritistischer Note. Der französische Regisseur zeichnet das Bild einer zutiefst verunsicherten Generation. „Personal Shopper“ mit Kristen Stewart und Lars Eidinger in den Hauptrollen ist ein stilistisch virtuoser, hervorragender Film. Am Donnerstag kommt der Film in die Kinos.

Neugier und Angst verbinden sich, als Maureen, die von Kristin Stewart gespielte Hauptfigur, ein altes verlassenes Herrenhaus erkundet. Nur eine Taschenlampe dient zur Beleuchtung. Die junge Frau will hier die Nacht verbringen, um das Jenseits zu kontaktieren. Tatsächlich taucht bald darauf hinter ihr plötzlich aus dem Dunkel für wenige Sekundenbruchteile ein Lichtschatten auf. Er bewegt sich ständig, zeigt bald vage ein Gesicht, dann einen Körper. Ein Geist, ganz offensichtlich. Was für ein Auftakt!

Maureen ist in fast jedem Bild von Olivier Assayas’ neuem Film zu sehen. Sie ist eine junge Frau, die im Dienst einer nicht näher definierten Pop-Berühmtheit namens Kira (Nora von Waldstätten in einem unvergesslichen Kurzauftritt) Markenklamotten, echten Schmuck und andere sündteure Waren zumeist kostenlos für einen werbewirksamen Auftritt ausleiht. Solche „Personal Shopper“ gibt es wirklich, sie sind Avatare des realen Lebens, die für Stars allerlei erledigen.

In einem fremden Leben

Diese glamouröse Tätigkeit ermöglicht der 27-Jährigen, sich in einem fremden Leben gewissermaßen als Stellvertreterin einzurichten. Sie lebt es nicht ganz, aber ein bisschen – und das passt ihr offensichtlich gut, weil dies auch eine Weise ist, dem eigenen Leben auszuweichen. So hat Assayas sein Thema früh gesetzt: die Infragestellung von Identitäten und das Motiv des Doppelgängers. So sehr Maureen wie zu allem auch zu Kira und ihrer Welt Distanz pflegt, so sehr gibt es auch eine klammheimliche Verschmelzung. Denn wir sehen sie später, wie sie – was ihr streng verboten ist - selbst die geliehene Kleidung ausprobiert und in Kiras Bett übernachtet. Ihre Schwäche ist das Begehren, von Dingen zu kosten, die anderen vorbehalten sind. Es ist ein Märchenglaube an die Kraft der Objekte.

„Personal Shopper“ ist vor allem aber eine ironisch-skeptische Reflexion der gegenwärtigen Mode- und Celebrity-Kultur, wie die sarkastische Abrechnung mit den sie transportierenden Medien: „Ich mag keine Magazine“, sagt Maureen zu einem deutschen Journalisten (Lars Eidinger). „Magazine verkaufen den Leuten Scheiße, nur für Anzeigenkunden, nie für die Leser.“

Schließlich geht es hier aber auch um Menschen als Medien, also Empfangsstationen für Stimmen aus dem Jenseits. Maureen ist davon überzeugt, selbst ein solches Medium zu sein. Zudem verstarb kürzlich ihr Zwillingsbruder an einem Herzfehler, den auch sie geerbt hat. Die Geschwister versprachen, sich „ein Zeichen“ zu senden.

Mit Maureen taucht der Film ein in die Kulturgeschichte der Geisterseher, des Spiritismus und der Parapsychologie – von den verbürgten regelmäßigen „Gesprächen“ Victor Hugos mit Shakespeare und Jesus Christus, bis zur modernen Malerei. In einer Szene bündeln sich all diese Motive: Auf einer Zugfahrt durch den Kanaltunnel wird Maureen von einem unbekannten Wesen (einem Geist?) kontaktiert – via SMS. Trotz aller Zweifel, lässt sie sich auf ein Treffen ein, doch bevor es dazu kommt, wendet sich die Handlung in ein Mordkomplott.

So vermischt Assayas virtuos und stilistisch souverän eine Fortsetzung von „Die Wolken von Sils Maria“ mit einem Psychothriller über Identität, Trauer und die Frage, wie rational die Welt verfasst ist. Für den Agnostiker Assayas geht es nicht um Esoterik, sondern um den Anteil des Fantastischen in unserem Alltag: in den Medien, im Unterbewussten.

Offen für alles

Zentraler Wesenszug von Maureens Charakter ist nicht Einsamkeit oder Angst – es ist die Distanz. Maureen ist ein Medium, weil sie bereit und fähig ist, sich auf nahezu alles einzulassen. Sie ist ganz durchlässig, ganz transparent und offen für die Welt. In ihrer Wandlungsfähigkeit gleicht sie einem Chamäleon.

Doch ihr dunkle Seite ist, dass sie sich selbst verloren geht. Ihr wunder Punkt, der sie für Manipulationen anfällig macht, ist nicht allein der Geisterglaube, sondern der Traum, dass alles möglich ist. Er hält unsere Welt zusammen. Mit dem Porträt dieser jungen Frau hat Assayas’ herausragender Film ein ungemein treffendes, archetypisches Porträt einer ganzen Generation geschaffen: jener Mittzwanziger des reichen Westens, denen zwar die Welt offensteht, die auf alles neugierig und zu allem bereit sind, die aber nicht wissen, wozu. Sie sind die wahren Geister unseres Zeitalters.

Personal Shopper. Regie: Olivier Assayas. Mit Kristen Stewart, Lars Eidinger und Nora von Waldstätten. Frankreich/Deutschland 2016, 110 Min., FSK ab 12.