StartseiteKulturEs stieben die Funken, es rasseln die Säbel

Säbel

Es stieben die Funken, es rasseln die Säbel

Kultur / Lesedauer: 5 min

Effektvoll und berührend: Puccinis Oper „Turandot“ eröffnet die Bregenzer Festspiele auf der Seebühne
Veröffentlicht:23.07.2015, 20:22

Von:
Artikel teilen:

Glück muss man haben! Rund um den Bodensee hat es am Mittwochabend kräftig gewittert, aber die Bregenzer Bucht blieb verschont. Fast. Nur leichter Regen und zwischendurch der heisere Schrei eines Blässhuhns begleiteten den ersten Akt der Seebühnenpremiere von „Turandot“. Die nächsten zwei Stunden konnten sich die knapp 7000 Besucher unbehelligt von den Unbilden der Natur von Puccinis süffiger Musik vor der imposanten Kulisse mit chinesischer Mauer und Terrakotta-Kriegern verzaubern lassen. Es besteht kein Zweifel: „Turandot“ kommt an beim Publikum, weil wieder einmal die Erwartungen an dieses Open-Air-Musiktheater erfüllt werden. Es gibt viele schöne Bilder, und ein Ohrwurm wie „Nessun dorma“ beschert wohlige Wiedererkennungseffekte. Broadway am Bodensee mit Happy End.

Dabei ist die Geschichte der Prinzessin Turandot ja reichlich grausam. Die Tochter des chinesischen Kaisers will partout keinen Mann. Sie fürchtet das Schicksal ihrer Ahnin, die von ihrem Vergewaltiger getötet wurde. Turandot rächt sich stellvertretend an allen Männern. Wer um sie freit, muss drei Rätsel lösen. Schafft er es nicht, verliert er seinen Kopf. Wie der hübsche Perserprinz, der am Beginn zum Richtplatz geführt wird. Ein „Terrorregime“ klagen die Höflinge Ping, Pang und Pong. Ein „Jammer“ findet Papa Kaiser. Doch die verrohte Volksmenge, die da im Mao-Look über die Bühne marschiert, treibt die Henkersknechte noch an: „Gira la cote!“ – „Schleift die Messer!“ Und Regisseur Marco Arturo Marelli lässt die Funken stieben und die Säbel rasseln, dass es eine Freude ist.

Liebe auf den ersten Blick

Der erste Akt ist ungeheuer dicht: Die Handlungsebenen überlagern sich. Von der einen Seite kommt per Schiff der Todeskandidat, von der anderen nähert sich das mit Lampions geschmückte weiße Boot der Prinzessin, auf der Bühne tummeln sich Volk, Wachen und Henker. Dazwischen gibt es rasch noch eine Familienzusammenführung: Calaf, der Tatarenprinz, entdeckt im Tumult seinen Vater Timur nebst Begleiterin Liu. Stumm fällt Turandot das Todesurteil. Calaf ist vom Donner gerührt - nicht wegen ihrer Grausamkeit, sondern wegen ihrer Schönheit. Liebe auf ersten Blick. Hoffnungslos. Noch während der Vater den Sohn von dieser unheilvollen Leidenschaft abbringen will, wird das abgetrennte Haupt des Persers präsentiert. Und von des Turmes Zinne fällt eine kopflose Puppe in den Bodensee. Platsch.

Ganz schön viel für die erste halbe Stunde. Ganz so spektakulär geht es nicht weiter. In der Mitte der Bühne erhebt sich eine Plattform mit einer riesigen Scheibe dahinter, auf die mal Schriftzeichen, mal die Maske von Turandots Ahnin, mal ein Drache projiziert werden. Auf die Art schafft der Regisseur, der auch das Bühnenbild entworfen hat, einen intimeren Raum auf der riesigen Bühne. Die bespielt er noch nicht ganz so virtuos wie seine Vorgänger. Aber Ex-Intendant David Pountney war eben auch ein alter Seebühnenhase, dem es immer wieder gelang, die besonderen Gegebenheiten szenisch aufzunehmen.

Freilich hat Puccinis Oper auch viele ruhige Stellen. Wenn sie von einer Sängerin wie Guanqun Yu als Liu gestaltet werden, dann kann selbst von dieser riesigen Bühne ein Moment tiefster Rührung ausgehen. Oder von großer Erschütterung, wenn Mlada Khudoley als Turandot erzählt, warum sie keinen Mann erträgt: „No, no! Mai nessun m’avrà!“ – „Nein, niemand soll mich haben!“

Musikalisch wird dieses Konzept von Action und retardierenden Elementen von Paolo Carignani am Pult der Wiener Symphoniker klug unterstützt: Er dreht auf bei den Volksszenen oder beim kaiserlichen Huldigungsmarsch, bei dem Tänzer eine veritable Martial-Arts-Vorführung hinlegen. Er stellt die Groteske aus, wenn Ping (André Schuen), Pang (Taylan Reinhard) und Pong (Cosmin Ifrim) als Hofschranzen zwischen Auflehnung und Unterwürfigkeit hin- und herschwanken. Der Maestro hält das Orchester aber auch zurück, lässt den hervorragenden Prager Kammer- und den Bregenzer Festspielchor ganz sacht das Nessun-dorma-Motiv anstimmen, dass es einem kalt über den Rücken läuft. So kann Riccardo Massi die berühmte Arie des Calaf ganz behutsam angehen, ohne sie zu einer Brüllorgie zu machen.

Auf der Seebühne gelten andere Gesetze als in einem Opernhaus. Da darf’s ruhig ein bisschen mehr sein. Marelli lässt kein China-Klischee aus – von den Terrakotta-Kriegern bis zur Kalligrafie. Im Textbuch heißt es, die Oper spiele „in vergangenen Zeiten“. In Bregenz wird die Handlung zeitlich näher hergeholt. Wie in seiner „Turandot“-Inszenierung für Graz verlegt Marelli die Handlung in die 1920er-Jahre, als sich in China ein Aufstand der Unterdrückten gegen die dekadente Oberschicht zu formieren begann. Damals lag Puccini in einem Krankenzimmer in Belgien und arbeitete an „Turandot“. Ein solches Krankenzimmer hat Marelli vor die Hauptbühne in den See gebaut. Dort kauert zu Beginn der Sänger des Calaf am Boden und entlockt einer Spieluhr eine chinesische Melodie, die Puccini in der Oper verwendet hat.

Der Traum des Komponisten

Und in dem blauen Zimmer auf dem eisernen Bett endet die Geschichte auch: Hier findet die Wandlung der kalten Prinzessin zur liebenden Frau statt. Doch abweichend von anderen Inszenierungen ist es nicht der stürmische Übergriff Calafs, der die Prinzessin von ihrem Männerhass abbringt. Turandot befreit sich selbst, indem sie den gefesselten Prinzen mit Küssen überschüttet. „Vincero“ hat Calaf gesungen, und er sollte recht behalten. Zur finalen Vereinigung lässt’s die Regie dann noch mal richtig krachen: Mit Feuer und Wasser und allem, was die Bregenzer Bühnentechnik so hergibt. Es ist eine ganze Menge.

„Turandot“-Karten über Südfinder Tickets 0751 / 29 555 777

Die Oper wird am 24. Juli live von 3sat ab 21.15 Uhr aus Bregenz übertragen.

Das SWR Fernsehen, der ORF und das Schweizer Fernsehen präsentieren ab 21 Uhr in einer besonderen Form: Die Moderatoren Max Moor, Barbara Rett und Nicole Salathé sprechen mit den Theaterleuten, gestatten aber auch während der Aufführung Blicke hinter die Kulissen.

Eine Bildergalerie mit Eindrücken von der Seebühne finden Sie unter

schwaebische.de/bregenz