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Taschentaschentuch

Der Griff zum Taschentaschentuch

Ravensburg / Lesedauer: 2 min

Der Griff zum Taschentaschentuch
Veröffentlicht:15.03.2013, 08:00

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Zum Beweis nur ein kurzer Blick in ein paar Modeprospekte, die in den letzten Tagen ins Haus flatterten: Nicht nur, dass es da wimmelt von Hip-string nude invisibles, Blazers in Off-White, seamless Pantys, Slight Curve Classic Straight Hosen, Lack-Loafers in Candy Colours und ein paar hübsche Hupfer ihre Mix-it-Match-it-Love-it-Bademode zeigen. Da gibt es heute schon Modebroschüren aus deutschen Landen, die unter dem Titel spring/summer 2013 laufen.

Und bei den Supermarkt-Anzeigen sieht es nicht anders aus: Da sind – in ihrem deutsch-englischen Mischmasch besonders hirnrissig – die Laufschuhe trendig, die Salzstangen crossig, die Papiertaschentücher softig…

Um bei Papiertaschentüchern zu bleiben: Wie in diesem sibirischen März nicht ungewöhnlich, gingen vor ein paar Tagen bei uns die Papiertaschentücher aus. Ein schneller Griff ins Drogerieregal, und für Abhilfe war gesorgt, sogar doppelt gemoppelt: Pocket-Taschentücher stand auf der Packung, weil sie so hübsch handlich sind und prima in die Pocket = Tasche passen – da geht einem doch das Messer in der Pocket auf.

Ein Werbegag? Kaum. Untersuchungen der letzten Zeit haben belegt, dass die Werbetexter schon nach wenigen Wochen ihre eigenen englischen Kreationen nicht mehr rückübersetzen können. Und der Taschentaschentuch-Erfinder hat wohl von Anfang an nicht richtig begriffen, was er da schreibt.

Bleibt das altbekannte Fazit: Natürlich ist eine gewisse Infiltration von Wörtern aus der Weltsprache Englisch in Zeiten der Globalisierung völlig normal, sinnvoll, sogar wünschenswert. Aber die Masse macht es. Dass sich eine ganze Nation mehr und mehr in einem Idiom bewegt, das ein Großteil ihrer Bürger – nachgewiesenermaßen – überhaupt nicht versteht, das muss ja nicht schicksalhaft hingenommen werden. Und das immer wieder einmal festzustellen, hat nichts mit naiver Entrüstung zu tun.

Weil wir hier vergangene Woche schon Christian Morgenstern zitiert haben, machen wir es noch einmal: "Es gibt ein Gespenst, das frisst Taschentücher", so hat er vor hundert Jahren gedichtet. Hoffentlich lebt es heute noch, nimmt sich die Pocket-Taschentücher vor – und den Texter gleich dazu. Und wenn der etwas dagegen hat, kann er ja einen Ghostbuster holen. Er weiß hoffentlich, was das ist.

Wissen Sie es?