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Denkmäler des Irrtums

Kultur / Lesedauer: 4 min

Die Villa Rot in Burgrieden zeigt künstlerische Positionen zum verlorenen Paradies
Veröffentlicht:01.07.2016, 19:28

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Es gibt wenige Kunsthäuser, die so konsequent gesellschaftlich relevante Themen aufgreifen, wie die Villa Rot in der Nähe von Laupheim. Nach Ausstellungen zu Fleischkonsum und Selfie-Wahn widmet sich die neue Schau unter dem Titel „Paradise Lost“ von diesem Sonntag an der latenten Bedrohung unserer Schöpfung. Ein Projekt, das einen Besuch wert ist.

Ilkka Halsos Blick auf unseren Planeten ist pessimistisch. In seinen Bildern rückt der finnische Fotokünstler noch intakte Biosphären in den Mittelpunkt. Wie die frostempfindliche Kamelie im Park von Pillnitz bei Dresden packt er ganze Flussläufe, Waldstücke, einzelne Bäume sowie mit Moos und Gras bewachsene Felsbrocken in gläserne Käfige oder Hochregallager und inszeniert sie als touristische Sehenswürdigkeit. Denn drumherum wächst schon lange nichts mehr. Die riesigen Farbfotografien von bestechender Tiefenschärfe, die Halso digital bearbeitet hat, hängen im Neubau der Villa Rot – also dort, wo große Fensterflächen den Blick in den üppigen Park gewähren. Im Kontrast zur noch intakten Natur draußen vor der Tür wirken diese Visionen erst recht makaber und beängstigend.

Die Natur in Gefahr

„Paradise Lost“, der Alptraum vom verlorenen Paradies, zeigt sich in der Villa Rot auf ganz unterschiedliche Weise. Beeindruckend sind die Positionen aber allesamt. Sprich, Stefanie Dathe beweist mit ihrer neuen Ausstellung wieder ein gutes Gespür für starke künstlerische Beiträge – diesmal zu Themenbereichen, die Gefährdung und Wandel, Schutz und Pflege der Schöpfung in den Fokus der Betrachtung stellen.

Wobei die Schau mit Werken aus Fotografie, Film, Objekt- und Installationskunst erstmals zweigeteilt ist. Während im Erdgeschoss Exponate versammelt sind, die mit naturwissenschaftlicher Sorgfalt die Artenvielfalt der Ökosysteme beobachten, finden sich im ersten Stock Arbeiten, die sich mit den Konsequenzen der Zivilisation auf unsere Umwelt beschäftigen. Anlass für das Ausstellungsprojekt sind die Nuklearkatastrophe von Tschernobyl vom 26.April 1986, die sich in diesem Jahr zum 30. Mal jährt, sowie das erst fünf Jahre zurückliegende Unglück von Fukushima vom 11. März 2011.

Doch keine Bange, die Schau ist alles andere als deprimierend. Die Exponate der 13 Künstler aus aller Welt wurden angenehm locker gruppiert und dramaturgisch geschickt in Szene gesetzt. Auf Formal-Ästhetisches folgt Bizarres, auf Naturwissenschaftliches folgt Dramatisches. Und zwischendrin gibt es mit optischen Irritationen Überraschungsmomente, die einen zum Schmunzeln bringen. Wie zum Beispiel die „Atomteller“ des Berliner Duos Mia Grau und Andree Weissert, die im Treppenhaus zu sehen sind. Die Schmuckteller zeigen 19 deutsche Atomkraftwerke als Landschaftsbild und knüpfen an die Windmühlenmotive in Delfter Blau an. Ihre prägnante Silhouette mit den qualmenden Kühltürmen prägen längst unser Heimatbild und stehen zugleich für eine Ära der Energiegewinnung, die sich dem Ende zuneigt. Auf der Rückseite sind die Koordinaten zu Baujahr, Größe, Leistung und Störfällen des jeweiligen Motivs ins Porzellan gebrannt. Diese Teller, die für Idylle und Nostalgie stehen, sind folglich wie es im Untertitel treffend heißt: „Denkmäler des Irrtums – Hoffnung von Gestern – Folklore von morgen“.

Eindrücke aus Tschernobyl

Was die Kernenergie anrichtet, wenn es zum GAU, zum größten anzunehmenden Unfall kommt, zeigt dann beispielsweise Heiko Roith in seinen eindrucksvollen Aufnahmen, die auf vier Reisen in die Tschernobyl-Region zwischen 2014 und 2015 entstanden sind. Einerseits hat der deutsche Fotograf jene alten Menschen porträtiert, die wie „Baba Dunja“ im gleichnamigen Roman von Alina Bronsky aus Heimweh wieder in ihre verseuchten Dörfer zurückgekehrt und dort glücklich sind. Andererseits hat er sich in Prypjat umgeschaut und mit der Kamera festhalten, was aus der einstigen Vorzeigestadt der Ukraine geworden ist: ein totes Mahnmal von beklemmender Schönheit. Aus dieser Serie stammt auch das Plakatmotiv mit dem rostigen Riesenrad im Park, das niemals in Betrieb ging.

Die russischen Künstler selbst wagen sich bis heute nicht an dieses Thema. Im Gegensatz dazu setzen sich ihre Kollegen in Japan mit den Folgen von Fukushima sehr wohl auseinander. Berührend ist hier der preisgekrönte Animationsfilm „Abita“ von Shoko Hara und Paul Brenner. Er erzählt in Tuschtechnik von einem kleinen Mädchen, das wegen der radioaktiven Strahlung nicht mehr draußen spielen darf. Eine poetische Geschichte über süße Träume und bittere Realität. 36 000 Kinder sind in Japan davon betroffen.

„Paradise Lost – Vertreibung aus dem Garten Eden“ in der Villa Rot bei Laupheim dauert bis 16. Oktober. Öffnungszeiten: Mi.-Sa. 14-17 Uhr, So. 11-17 Uhr. Weitere Infos unter: www.villa-rot.de