StartseiteKulturDas Deutsche Reich transportierte Lenin nach Russland

Prügelei

Das Deutsche Reich transportierte Lenin nach Russland

Kultur / Lesedauer: 2 min

Das Deutsche Reich transportierte Lenin nach Russland
Veröffentlicht:24.02.2017, 18:46

Artikel teilen:

Auf dem Perron kam es zur Prügelei. Lenin hatte seine Abreise aus Zürich zwar geheim aushandeln lassen, aber verborgen ist sie den russischen Emigranten nicht geblieben. 560 Russen lebten in der Schweiz im Exil. Als ihnen die Provisorische Regierung nach der Februarrevolution 1917 eine Amnestie gewährte, gründeten sie ein „Zentralkomitee für die Rückreise“.

Lenin ging das nicht schnell genug. Am 9. April um 15.10 Uhr brachte ihn der Zug von Zürich nach Schaffhausen an die deutsche Grenze, zusammen mit 32 Personen, darunter 19 Bolschewisten. Eine Zeitungsmeldung stellte die „Frauen und Kinder“ heraus und tarnte die Reise als humanitäre Aktion.

Das Gerangel vor der Abfahrt macht den politischen Hintergrund deutlich. Die zurückbleibenden Sozialisten beschimpften Lenin und die Mitreisenden als „Provokateure, Lumpen, Schweine“. Der Rest der Fahrt ging glatt. Der Schweizer Zoll zog zwar noch die mitgeführte Schokolade ein. Dann aber warteten die vorgesehenen Waggons, in denen, so liest sich das beim Auswärtigen Amt, die Revolutionäre „in höflicher Weise“ durch Deutschland reisen sollten: über Singen, Offenburg, Frankfurt, Berlin und Sassnitz.

Lenins Fahrt erscheint unter den Ereignissen des Ersten Weltkriegs wie eine operettenhafte Einlage. Viel Aufmerksamkeit galt dem „plombierten Wagen“. Er war mit Kreide markiert, der Zutritt verboten. Die Plombierung taucht im Titel des Buches auf, das Fritz Platten über Lenins Reise geschrieben hat.

Die Zugfahrt wird weniger als Ereignis im Kriegsverlauf wahrgenommen denn als Vorlauf zur Oktoberrevolution. Das entspricht Lenins Sicht der Dinge. Heute freilich kann man Aktionen, die auf die Destabilisierung eines Landes zielen, mit neuem Interesse betrachten.

Strategien einer hybriden Kriegsführung spielen schon im Ersten Weltkrieg eine Rolle. Die Deutsche Botschaft in Bern hatte ein Auge auf Lenin und seine Bolschewiki. Die traten für einen Friedensschluss ein, ja setzten auf die militärische Niederlage Russlands , um den „Zarismus“ zu besiegen. Diese Position hat Lenin bei der Konferenz 1915 in Zimmerwald bei Bern vertreten, zu der Sozialisten aller Länder, als Vogelkundler getarnt, angetreten waren (die Unterschriftenliste ist in der Ausstellung zu sehen).

Kämen die Bolschewiki in Russland an die Macht, so die Überlegungen damals in Deutschland, würde ein Sonderfrieden möglich, der Krieg auf die Westfront beschränkt. Als Lenin haderte, wie er „aus der verfluchten Schweiz herauskomme“, servierte das Deutsche Reich ihm und seinen „hervorragenden Agitatoren“ die Transportlösung. „Lenins Eintritt in Russland geglückt, arbeitet ganz nach Wunsch“, meldete die Heeresleitung am 21. April 1917. (man)