StartseiteKulturChristopher Nolans bewegendes Kriegsdrama „Dunkirk“

Kriegsdrama

Christopher Nolans bewegendes Kriegsdrama „Dunkirk“

Kultur / Lesedauer: 4 min

Christopher Nolan mahnt in seinem bewegenden Kriegsdrama „Dunkirk“ Menschlichkeit an
Veröffentlicht:26.07.2017, 19:47

Artikel teilen:

Christopher Nolan ist mit „Dunkirk“ ein großes Eops gelungen. 330 000 britische Soldaten wurden 1940 vom Strand Dünkirchens gerettet bevor die deutsche Wehrmacht vorrückte, unter anderem in Booten von Fischern und anderen Zivilisten. Den Überlebenskampf zeigt Nolan eher als spannungsgeladenen Thriller denn als Kriegsfilm.

Es ist mitten in der Nacht, ein Sanitätsschiff fährt durch die See, als ein Torpedo fast lautlos unter der Wasseroberfläche auf das Boot zurauscht. Gerade noch hat es warmen Tee gegeben und ein paar gute Worte für die Verwundeten, Erschöpften. Die Klügeren sind trotzdem in der Nähe des Ausgangs geblieben, in Sichtweite der Türen, die aus dem Schiffsrumpf nach draußen führen. Den meisten nützt auch das nichts. Als der Torpedo einschlägt dauert es nur Sekunden, dann bricht die Hölle los.

Diese Szene in der Mitte des Films ist besonders eindrucksvoll, weil sie das Massenhafte des Sterbens im Krieg sichtbar macht. Und weil sie zeigt, dass Überleben oft nur von Zufällen abhängt, aber auch davon, etwas wachsamer zu sein, als andere.

„Dunkirk“ ist ein Drama des Überlebens. Es geht um „Dünkirchen“, jene lange Woche Ende Mai, Anfang Juni 1940, als Hitlers Wehrmacht nach dem Blitzkrieg das britische Expeditionskorps in Frankreich eingeschlossen hatte. Während die Uhr für die Belagerten tickt, immer neue Sturzkampfflieger die Bodentruppen mit Bombenteppichen überziehen und Boote versenken, retteten die Briten den Großteil ihrer Soldaten: das „Wunder von Dünkirchen“.

Wie und warum das möglich war ist aber nicht Thema von Christopher Nolans neuem Film. Der Regisseur von so unterschiedlichen Werken, wie „Memento“, der „Batman“-Trilogie und dem atemberaubenden „Interstellar“ zeigt keine Generäle, die über Karten gebeugt Divisionen hin und her schieben, er spekuliert nicht über Ursachen von Hitlers „Haltebefehl“, der den Briten die notwendige Atempause verschaffte.

„Dunkirk“ zeigt den Krieg, Kampf und Sterben so realistisch, wie das eben geht. Dennoch ist es kein Kriegsfilm. In seiner Machart erinnert „Dunkirk“ viel mehr an einen Thriller. Da ist der Spitfire-Pilot Collins (großartig: Jack Lowden), der in der Nordsee notlanden muss und sein Kollege Farrier ( Tom Hardy ), dem der Treibstoff auszugehen droht, und der wählen muss zwischen der Rettung der Maschine und der eigenen Haut – oder der Verteidigung eines vollbeladenen Schiffes. Da ist der Fischer Dawson (Marc Rylance), der einen traumatisierten Soldaten (Cillian Murphy) an Bord hat. Und Tommy (Fionn Whitehead), der nicht ohne Grund so heißt wie der prototypische britische Soldat im Zweiten Weltkrieg. Nicht zu vergessen Commander Bolton (Kennegh Brannagh), Kommandeur am Strand, der nur zwischen schlechten Optionen wählen kann. „Dunkirk“ ist ein Ensemblefilm, der zwischen den Schauplätzen wechselt, Querverbindungen zieht.

Zwei Meister der Filmgeschichte, Alfred Hitchcock und Stanley Kubrick, der Engländer und der Wahlengländer, sind erkennbar die Vorbilder für diesen Film. Nolans eigene Handschrift wird, vom perfekten Handwerk mal abgesehen, vor allem im Filmmaterial sichtbar: Er hat auf klassischem Material gedreht, in monumentaler 70mm-Auflösung, die man im IMAX-Kinoformat sehen sollte. Selbstverständlich gibt es den Film nur in 2-D, wird Nolan doch nicht müde zu betonen, dass er 3-D für modischen Schnickschnack hält.

Die zweite, unverwechselbare Nolan-Note ist die verschachtelte Erzählstruktur: Drei Zeitebenen, mehrere Handlungsstränge – man kann das manieriert finden, es angesichts der Spannung für unnötig halten, aber es macht den Film zu einer noch dichteren, ungemein intensiven Erfahrung.

Das eigentlich Erstaunliche dieses durchaus pathetischen, heroischen Films ist, dass der Heroismus gerechtfertigt scheint. „Dunkirk“ erinnert daran, dass die Briten einmal die Retter Europas waren – eine eindeutige politische Botschaft in Zeiten des Brexit. Eine Botschaft, die der Engländer Nolan genauso an seine eigenen Landsleute richtet wie an die Kontinentaleuropäer.

Sieht man im Film die vielen Rettungsboote, Menschen, die sich verzweifelt an Rettungswesten klammern, dann muss man im Jahr 2017 schon sehr abgestumpft sein, um nicht an die zu denken, die derzeit im Mittelmeer ertrinken. Und an jene kleinen Boote, die heute Europas Ehre retten.

Dunkirk. Regie und Buch: Christopher Nolan. Mit Fionn Whitehead, Tom Hardy, Cillian Murphy, Kenneth Branagh. Großbritannien 2017. 107 Minuten. FSK ab 12.