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Kopffell

Bloß nicht romantisch glotzen

Kultur / Lesedauer: 4 min

Jossi Wielers und Sergio Morabitos Inszenierung von „Tristan und Isolde“ an der Staatsoper Stuttgart
Veröffentlicht:23.07.2014, 16:55

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Ein Kurwenal, der seinem Herrchen Tristan wie ein braver Hund aus der Hand frisst und sich dann das Kopffell tätscheln lässt? Eine Isolde, die hinten über die Schiffsbrüstung reihert, weil ihr vom Wellengang und von der Zwangssituation, in die Tristan sie gebracht hat, speiübel geworden ist? Eine Brangäne, die ihre Gebieterin beim Streit ohrfeigt? In Jossi Wielers und Sergio Morabitos Stuttgarter Neuinszenierung von Richard Wagners „Tristan und Isolde“ passieren Dinge, die man bei dieser „Handlung in drei Aufzügen“ nicht unbedingt erwartet.

Zum Vorspiel wird ein Holzschiff erkennbar. In Seitenansicht nimmt es die ganze Breite der Bühne (Bert Neumann) ein. Seine Takelage und die Silhouetten der Passagiere heben sich schwarz wie ein Schattenriss vom Hintergrund ab. Dort schwankt in magischer Beleuchtung (Lothar Baumgarte) ein aufgewühltes Meer langsam auf und ab. Auch vor dem Schiff sieht man die giftgrün schäumenden Wogen. Die romantische Szenerie könnte einem Bild von Caspar David Friedrich nachempfunden sein.

Das blaue Wunder

Auch die Kostüme (Nina von Mechow) der Protagonisten passen im ersten Aufzug zur Zeit Friedrichs. Tristan trägt einen Zylinder und einen Mantel mit Pellerine, steht abseits und schaut aufs Meer hinaus. Am Masten ist eine alte Standuhr festgebunden. Daneben stapeln sich Stilmöbel und zwei verschnürte Ballen mit Isoldes verpacktem Hausrat. Wer aus diesem Bild freilich blauäugig schließt, dass hier eine konservativ inszenierte Geschichte erzählt wird, erlebt bald sein blaues Wunder.

Wieler und Morabito haben die Widersprüche des Stücks beim Wort genommen und genauer in Aktionen und Gesten übersetzt, als Anhänger einer verklärenden Wagner-Rezeption das wahrhaben wollen. Die mutige Stuttgarter Produktion macht auch Peinlichkeiten szenisch sichtbar. Gerade so werden Brüche im Werk und unfreiwillige Komik entschärft. Da erstarren die Darsteller auf der Bühne nicht in Ehrfurcht vor der musikalischen Überhöhung des Textes, sondern packen sich gerade bei langwierigen Dialogen mitunter recht deftig an.

Verbal-vokales Gezerfe geht einher mit rüdem Schubsen. überbrachte Botschaften werden vom Empfänger mit ironischer Gestik hämisch wiederholt. Isolde knöpft sich Kurwenal vor, drückt ihn an die Reling oder nimmt Tristan in den Schwitzkasten und reißt ihm das Hemd auf. Subtil ist der szenisch problematische, zweite Aufzug in Theater überführt. Von der Decke hängen schwarz-silberne Schlingpflanzen. Tristan taucht mit enger Hose und offenem Hemd auf, wirft sich in Travolta-Posen oder schwingt sich wie Tarzan an einer Liane zu seiner Jane.

Übermütig fallen die beiden Liebenden übereinander her, um im nächsten Moment doch wie artige Teenager verlegen dazusitzen. Wenn Isolde zu einem Spitzenton Tristan humorvoll auf den Hintern patscht, artikuliert sich auch unterschwellige Aggression. Die brutale Ernüchterung folgt als veritabler „coup de théatre“. Als Marke und Melot das Paar auf vermeintlich frischer Tat ertappen, fällt der rote Vorhang rings um die Nachtszene mit einem Schlag nach unten. Grelles Licht fällt von hinten herein.

Die subjektive Erlebniswelt Tristans und Isoldes ist plötzlich schonungslos dem objektivem Blick ausgeliefert. Entsprechend verflüchtigt hat sich dann alle Romantik im dritten Aufzug. Das Schiff ist gestrandet, an der Seite klafft ein Loch. Ringsum blitzt keine Meeresfläche mehr. Tageslicht dringt stattdessen störend durch eine Jalousienwand. Tristan tapert wie ein Schmerzensmann am Stock daher. Erst als Isolde erscheint, richtet er sich auf und fängt an, in Zeitlupe zu tanzen.

Christiane Iven debütiert als Isolde mit beachtlichem stimmlichen Durchhaltevermögen, klingt aber bei exponierten Tönen noch angestrengt. Erin Caves stemmt als vokal belastbarer Tristan seinen kräftezehrenden Part bis zum Ende problemlos. Überzeugende sängerische Leistungen bieten auch Attila Jun (Marke), Shigeo Ishino (Kurwenal), André Morsch (Melot) und Katarina Karnéus (Brangäne). Sylvain Cambreling steuert das Orchester mit Feingespür durch die überlange Partitur. Bläsertöne stechen manchmal etwas hervor, doch insgesamt gelingt eine kultivierte Darbietung mit dramatischen Höhepunkten.

Noch einmal am 27. Juli und dann wieder ab September im Spielplan. Kartentelefon (0711) 202090