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Erlebnisraum

Adrián Villar Rojas hat für das KUB in Bregenz Erlebnisräume geschaffen

Kultur / Lesedauer: 5 min

Adrián Villar Rojas hat für das Kunsthaus Bregenz Erlebnisräume geschaffen
Veröffentlicht:18.05.2017, 18:54

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Kapuzenpulli, T-Shirt und Jeans in grau, schwarze Sneakers. Adrián Villar Rojas ist ein lässiger, schlaksiger Typ mit halblangem Haar. Doch der legere Eindruck täuscht. Der 1980 in Argentinien geborene Künstler überlässt in seinen Arbeiten nichts dem Zufall. Man könnte auch sagen: Er ist ein Perfektionist und eine Herausforderung für Kuratoren. Im Kunsthaus Bregenz (KUB) hat er jetzt einen vierteiligen Zyklus entworfen, der viele Ausstellungen der vergangenen 20 Jahre übertrifft. Selten wurden derart viele Materialien verarbeitet, selten wurde so stark in die Architektur eingegriffen.

Schon der erste Eindruck im Erdgeschoss des KUB verblüfft. Ein riesiger bemalter Holzboden erstreckt sich über den gesamten Raum. Blattgold ist zu erkennen, zarte Gesichter, verspielte Muster und geschwungene Formen. Verletzungen an der Oberfläche sind zu sehen, wie Risse, ausgebleichte Stellen und Schrammen. Eine verspiegelte Säule ragt bis zur Decke. In den Saal fließt buntes Licht, das durch farbige Folien auf den Fenstern gebrochen wird. Vom Kassentresen keine Spur mehr.

Inspiriert vom Film

Das Bild auf dem Boden, das Assoziationen an kitschige Kreidemalereien von Straßenkünstlern weckt, ist eine vergrößerte Kopie der Madonna del Parto (1450-1475) von Piero della Francesca. Das Frührenaissance-Fresko zeigt die schwangere Maria unter einem prächtigen Baldachin, flankiert von zwei Engeln. Schon der Russe Andrej Tarkowski hatte das Gemälde für seinen Film „Nostalghia“ von 1983 zitiert – als Sinnbild für Fruchtbarkeit und Schönheit. Und von diesem Film hat sich Villar Rojas für die Schau in Bregenz mehrfach inspirieren lassen. Die Fenster wiederum zeigen schemenhafte Hochhäuser und Straßenschluchten aus Hongkong und Singapur und sind Zitate aus der tragischen Liebesschnulze „2046“ von Wong Kar Wai. Doch auch ohne dieses Wissen um die Hintergründe ist man beeindruckt von diesem sinnlichen Erlebnisraum. Hier wird das nüchterne Gebäude von Peter Zumthor zur Skulptur und der Betrachter Teil davon. Schade nur, dass es kein Podest gibt, von dem aus man die Mutter Gottes als Ganzes sehen kann.

Ein Theaterstück in vier Akten

Die Ausstellung in Bregenz vereint unter dem Titel „Theatre of Disappearance“ (Theater des Verschwindens) eine Folge von postapokalyptischen Raumbühnen. Den Besucher erwartet ein Theaterstück in vier Akten, das von Andacht, von Düsternis, von Unbehagen und von Idealen handelt. Als bleibende Zeugen einer fernen Zeit werden Zeichen, Spuren sowie Ikonen der Menschheit aus unterschiedlichen Epochen versammelt und effektvoll in Szene gesetzt. Der Künstler stellt seine Installationen dabei nicht nach einem präzisen Entwurf her, sondern sie entwickeln sich prozesshaft vor Ort. Ein mehrköpfiges Team von „Akteuren“ hilft ihm, seine Visionen umzusetzen. Villar Rojas versteht sich demnach als eine Art Theaterregisseur. Im ersten Stock des KUB befindet man sich nun in einer Höhle, im zweiten steht Picassos Antikriegsbild „Guernica“ von 1937 im Mittelpunkt, vor dem ein elf Meter langes Feuer züngelt und als einzige Lichtquelle den dunklen Saal erhellt, während oben unterm Dach die Beine von Michelangelos „David“ (1501-1504) verherrlicht werden.

Politische Anspielungen auf sein Heimatland, in dem zu Zeiten der Diktatur spurlos Leute verschwanden, verneint der 37-jährige Argentinier. Vielmehr gehe es ihm darum aufzuzeigen, „wie die Welt sich ständig verändert, in der wir leben.“ Villar Rojas Arbeiten operieren dabei mit dem Unerwarteten. Er zeigt eine große Freiheit im Umgang mit den Objekten. Und in seinen Erlebnisräumen aus verschiedenen Materialien ist der Moment des Zerfalls stets enthalten.

Gigantische Dimensionen

Bekannt wurde der Argentinier vor allem durch faszinierende Monumentalskulpturen, wie etwa 2011 auf der Biennale in Venedig oder 2012 auf der documenta in Kassel. „Mein Hauptinteresse gilt der Besetzung von Raum“, sagt der Künstler.

Dabei arbeitet er bevorzugt in gigantischen Dimensionen. Das KUB in Bregenz hat Villar Rojas besonders gereizt. Ist das Haus doch für ihn ein „Tempel“, während dessen Leiter Thomas Trummer und sein Team die „Mönche“ sind, die darauf achtgeben, dass das Heiligtum nicht beschädigt wird.

Tatsächlich fluten Villar Rojas Arbeiten jetzt im wahrsten Sinne des Wortes das Gebäude. Erstmals in der Ausstellungsgeschichte des Kunsthauses spielt der Boden eine tragende Rolle. Neben jener Malerei aus der Frührenaissance im Erdgeschoss ist es zweimal dunkler Marmor mit versteinerten Fossilien aus der Wüste Marokkos in den Zwischenetagen sowie ein makellos weißer Kunstharzboden oben unterm Dach. Und für seine Höhle hat er sogar die Betonwände bemalt. Solche aufwendigen Aktionen kosten viel Geld. Die Finanzierung des Projekts wurde deshalb aufgeteilt. Ein Teil übernahm das Kunsthaus, ein Teil Villar Rojas Galerien und der Rest wurde vom ihm selbst bezahlt. Über den Gesamtpreis schweigt man aber lieber.

Der Argentinier Adrián Villar Rojas hat gezaubert. Seine Raumbühnen in Bregenz wird der Besucher so schnell nicht vergessen. Diese sinnliche Ausstellung hebt sich wohltuend von so manch verkopfter Präsentation in den vergangenen Jahren ab.

Adrián Villar Rojas „Theatre of Disappearance“ bis 27. August. Öffnungszeiten bis 30. Juni Di.-So. 10-18 Uhr, Do. 10-20 Uhr, danach Mo.-So. 10-20 Uhr. Weitere Infos auch zu den Führungen unter: www.kunsthaus-bregenz.de