Mobilfunkgerät
Was hinter der „Wegeheld-App“ steckt
Berlin / Lesedauer: 9 min
Heinrich Strößenreuthers „Wegeheld-App“ – ein Programm, mit dem Radfahrer über ein Mobilfunkgerät Falschparker melden können – ist einer größeren Öffentlichkeit als „Denunzianten-App“ oder „Petzer-App“ bekannt geworden. Doch hinter dem Smartphoneprogramm steckt mehr, als im ersten Moment ersichtlich ist. Tatsächlich ist die Wegeheld-App nun für den mit 10 000 Euro dotierten „Deutschen Engagementpreis“ nominiert worden. Im Gespräch mit Michael Scheyer erklärt der 46-Jährige, der selbst kein Auto besitzt, warum.
Herr Strößenreuther, Ihre Wegeheld-App ist als Denunzianten-App durch die Medien gegangen. Stimmt das, ist die App eine Waffe für Denunzianten?
Die Wegeheld-App soll auf den Flächenkonflikt zwischen Radwegen und Straßen für Autos aufmerksam machen. Es kann nicht sein, dass die wenigen Radwege, die es gibt, ständig zugeparkt werden. Und es geht nicht nur um Radfahrer, sondern auch um die Feuerwehr , Sanitäter, Müllabfuhr, Busfahrer, die alle nicht mehr durch die Stadt kommen, weil Autofahrer die zweite Reihe zuparken. Denn Falschparken behindert nicht nur Radfahrer. Aber um Radfahrer geht es mir ganz besonders. Die Medienlawine hat vor allem geholfen, auf das Problem aufmerksam zu machen. Und alle Umfragen gehen immer in die gleiche Richtung: Etwa 60 Prozent der Leute begrüßen die App als vorbildliches Engagement. Die Meinung der Bevölkerung ist eine etwas andere als die in den Medien. Und nein, die App ist keine Denunzianten-App.
Das zeigt auch, dass die App nun für den Deutschen Engagementpreis vorgeschlagen wurde?
Ja, die Leute sehen, dass Legislative und Exekutive versagen. 35 Euro Strafe für Parken auf einem Behindertenparkplatz hilft fast nichts. Die Leute machen trotzdem weiter. Wird man alle drei Monate ein Mal erwischt, sind das gerade mal 30 Cent pro Tag. Wenn Falschparken in Deutschland einmal 100 Euro kosten würde, dann würde ich die App sofort vom Netz nehmen, versprochen.
Was macht die App genau?
Man kann zunächst den Ort markieren, an dem das Vergehen stattgefunden hat. Das wird dann auf einer öffentlichen Karte im Internet festgehalten. Da bekommen wir zum Beispiel viele Zuschriften von Rettungsfahrern und Busfahrern, was auch gar nichts mit dem Streit Radfahrer gegen Autofahrer zu tun hat. Man kann auch ein Foto von dem Auto machen, das Nummernschild mit der App per Fingerzeig schwärzen, wenn man es veröffentlichen will. Man kann auch das jeweilige Ordnungsamt informieren. Was die dann aus den Daten machen, ist allein Sache des Ordnungsamtes, aber auf jeden Fall sind sie dann über die Problempunkte informiert. Bei nur einem Drittel aller Meldungen schicken die Nutzer auch eine Mitteilung ans Ordnungsamt. Das heißt, dass wir keine „Denunziantenrepublik“ sind, wie es immer heißt. Viele gehen erst leise Schritte, bevor sie petzen.
Wie nehmen denn Ordnungsämter die App auf?
Es gibt solche und solche. Oft heißt es: „Oh, da kommt ja noch mehr Arbeit auf uns zu.“ Was natürlich heißt, dass sie das Problem kennen, aber nichts machen, sondern akzeptieren, dass andere von Falschparkern gefährdet werden. Die Ordnungsämter akzeptieren also, dass eine Minderheit an Autofahrern – notorische Falschparker sind eine absolute Minderheit – die Nichtautofahrer gefährden. Legislative und Exekutive versagen, finde ich.
Mit den Statistiken, die Sie sammeln, wollen Sie öffentlichen Druck machen?
Ja, wir haben den ersten Erfolg in Berlin mit der Schlüterstraße. Das ist eine Einkaufsstraße mit zwei Fahrradstreifen, die regelmäßig zugeparkt werden. Seit ich da regelmäßig mit der App unterwegs bin, hat sich das deutlich gebessert. Inzwischen kommen nämlich Politessen, vorher nicht. Da frage ich mich, hat denn der Ordnungsamtsleiter vorher nichts davon gewusst? Übrigens: Im letzten Jahr sind in Berlin Prenzelberg 50 Politessen im Dienst tätlich angegriffen worden, zwei wurden absichtlich angefahren. Wir haben hier also kein Thema, in dem Radfahrer einen Konflikt schüren. Sondern der Konflikt ist vonseiten der Autofahrer bereits da. Aber die Wegeheld-App wird dagegen als Denunzianten-App oder Petzer-App abgetan.
Wie viel verdienen Sie denn an der App?
Gar nichts. Ich habe 30 000 Euro aus meinen Ersparnissen hineingesteckt, bei 300 Euro Spenden. Das ist mein politisches Engagement jenseits von Parteien und Verbänden.
Aber Sie haben die „Agentur für clevere Städte“ gegründet.
Aus rechtlichem Schutz. Ich will nicht sofort mit Haus und Hof in der Haftung stehen, wenn mich ein SUV-fahrender Rechtsanwalt abmahnen will.
Womit verdienen Sie Ihr Geld?
Ich bin Diplom-Wirtschaftsinformatiker und arbeite als Berater und Manager auf Zeit im Eisenbahn- und Fernbusbereich. Im Fahrradbereich würde ich gerne mehr machen. Jetzt habe ich kürzlich den „Flächengerechtigkeitsreport Berlin“ veröffentlicht, was auch ein Projekt „probono“ war. Das hat auch andere Städte interessiert.
Sie haben gesagt, die App soll auf den Konflikt zwischen Autofahrern und Radfahrern aufmerksam machen. Worum geht es in diesem Konflikt?
Ich habe als Verkehrsberater für die Stadt Hamburg ein Klimaschutzgutachten erarbeitet. Die Frage war, wie man im Verkehrsbereich 40 Prozent der CO-Emissionen einsparen kann. Da kam raus, dass man den Radverkehr eigentlich verdrei-, vielleicht sogar vervierfachen müsste. Da hatte ich den Stadtvätern vorgeschlagen, eine Spur einer sechsspurigen Fahrbahn nur für Radfahrer zu reservieren. Aber das durfte ich in das Gutachten nicht reinschreiben.
Es gibt also ein Flächenungleichgewicht zwischen Radwegen und Autostraßen?
Wir haben im Rahmen einer Spendenkampagne mit einer Professorin und deren Studentinnen 200 Berliner Straßen vermessen. Das Ergebnis war, dass für Radfahrer drei Prozent der Straßenflächen zur Verfügung stehen, für Autofahrer fast 20 mal mehr. Autofahrer in Berlin fahren aber nur doppelt so häufig wie Radler. Auf eine Fahrt mit dem Rad kommen mittlerweile nur noch zwei Fahrten mit dem Auto. Das Verhältnis der Verkehrswege müsste also eigentlich ganz anders sein. Ein Drittel für Radfahrer, zwei Drittel für Autos vielleicht.
Ein Auto braucht aber doch auch mehr Platz als ein Fahrrad.
Ja, schon. Aber das heißt auch, dass unsere Gesellschaft einem Menschen im Auto fast 20 mal mehr Fläche zugesteht, als einem Menschen auf dem Rad.
Wie lässt sich dieses Ungleichgewicht denn beheben?
Ganz einfach: Mehr für den Radverkehr tun. Man muss vor allem dafür sorgen, dass Radfahren sicher und damit attraktiv wird. In Berlin frage ich Journalisten gern, wann sie das letzte Mal ein Kind haben Fahrrad fahren sehen. Dann herrscht oft Schweigen.
Wir sitzen hier in der Region mitten in der Automobilzulieferer-Industrie. Die werden sich nicht wünschen, dass die ganze Welt auf das Rad umsteigt.
Das ist schon ein bisschen David gegen Goliath, was ich hier betreibe. Aber die Frage ist, wie ernst nehmen wir den Klimaschutz und die Reduktion von CO-Emissionen.
Das heißt, dass die Automobilbranche mehr in Haftung genommen werden muss?
Ja, genau. Zurzeit ist die Eurobike in Friedrichshafen. Diese Branche muss größer werden. Die Autobranche muss kleiner werden. Gewinner und Verlierer gibt es immer. Gewinner sind momentan noch die Autofahrer. Verlierer sind die kleinen Kinder und Senioren, die sich nicht mehr auf die Straße trauen. Wir können die Automobilindustrie so nicht weitermachen lassen.
So wie Sie sich äußern, müssten doch die Grünen großen Gefallen an Ihrer App finden. Was ist mit Fritz Kuhn, dem Oberbürgermeister der Landeshauptstadt, der Stuttgart von Autos befreien will?
Ich habe Herrn Kuhn mal angesprochen, Unterstützer der Wegeheld-App zu werden, wie es beispielsweise auch der BUND ist. Keine Reaktion. Auch die Oberbürgermeister von Tübingen und Freiburg, beides Grüne wohlgemerkt, haben nicht reagiert. Ich vermute, dass die Grünen kein heißes Eisen mehr anfassen wollen. Obwohl das Radfahren natürlich eine grüne Angelegenheit ist.
Sie sind hier im Urlaub bei Ihren Eltern. Wie unterscheidet sich denn Radfahren auf dem Land vom Radfahren in der Stadt?
Meine Eltern wohnen in der Wasserburger Bucht. Das ist eine der touristischen Hauptrouten für Radfahrer. In den letzten zehn Jahren hat sich da eine wahnsinnige Entwicklung getan. Man kann da nicht mehr sorglos über die Straße laufen, da kommen in der Stunde etwa 300 Radfahrer – erfreuliche Probleme. Daran erkennt man: Radfahren ist ein Boom. Und der ist in großen Städten, wie Berlin, auch im Alltagsverkehr schon angekommen. Natürlich ist Berlin da speziell. Aber das Radfahren im Freizeitbereich schwappt in die Städte über. Und auch das bedeutet, dass Radfahrer mehr Platz brauchen. Das ist der Konflikt, um den es mir geht.
Aber in Kleinstädten sind die Menschen doch immer schon Rad gefahren.
Ja, dort war es schon immer praktisch. Vor allem aber: Je näher man sich an seiner Wohnungstür befindet, umso korrekter verhält man sich auch. Also man würde nicht direkt vor dem eigenen Haus auf dem Fahrradweg parken oder als Fahrradfahrer bei Rot über die Ampel fahren. Sondern die Tendenz, Regeln zu missachten, steigt mit der Entfernung von der eigenen Wohnung. Deshalb funktioniert es in Dörfern noch mit dem Einhalten von Regeln und mit der Rücksicht. Während in großen Städten das nicht mehr so gut funktioniert – und da helfen wir mit der App etwas nach.
Die Wegeheld-App gibt es augenblicklich nur für Geräte, die das Betriebssystem Android nutzen. Sie ist kostenlos im Google Play Store erhältlich. Mit der App können Nutzer Falschparker melden. Laut Heinrich Strößenreuther wurde die App bereits über 30 000 Mal heruntergeladen. Laut einer Studie aus dem Jahr 2009 nahmen Kommunen damals rund 450 Millionen Euro im Jahr mit Strafzetteln für Falschparken ein. Tendenz steigend. In Ulm kamen laut dieser Studie auf 100 zugelassene Fahrzeuge im Jahr 109 Strafzettel, die im Schnitt 65 Euro kosteten. In München waren es 84 Knöllchen pro hundert Autos und in Stuttgart 80.