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Schweden: Grüner Traum mit roten Häusern

Panorama / Lesedauer: 6 min

Auf den Spuren von Michel und Pippi Langstrumpf: Perfekter Familienurlaub im südschwedischen Småland
Veröffentlicht:26.07.2017, 10:42

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Schon auf den Bahngleisen setzt die Entschleunigung ein: Bäume, so weit das Auge reicht. Seen, auf denen Menschen in Kajaks umherpaddeln. Raubvögel, die über Flüssen kreisen, an denen Angler sitzen. Wenn irgendwo Dörfer oder Gehöfte auftauchen, sehen sie aus, wie sie sich der Tourist vorher ausgemalt hat: rote Holzhäuser mit weißen Ecken und Kanten, oft mitsamt der blau-gelben Flagge Schwedens geschmückt. Nach der Landung in der dänischen Hauptstadt Kopenhagen ging es mit dem Zug über den Öresund und die südschwedische Metropole Malmö über gut drei Stunden ins Herz von Småland, in diesem Fall ins Örtchen Lessebo.

Die Häuser erinnern an „Katthult“, jenen fiktiven Hof, auf dem Astrid Lindgrens Romanfigur Michel seine Streiche ausheckte. Man wartet regelrecht darauf, dass gleich ein dürrer, blonder Mann um die Ecke rennt und mit vor Wut bebender Stimme brüllt: „Miiiiiiichel!“ Selten ist es so, dass sich Vorstellung und Wirklichkeit derart gleichen wie in Småland . Das ist jene südliche Ecke Schwedens, in der Lindgrens wunderbare Kindergeschichten spielen. In der Pippi Langstrumpf ihr Pferd in die Luft hebt und Michel von Lönneberga seinen Kopf in die Suppenschüssel steckt.

Traumziel für Naturfreunde

Småland ist hierfür die perfekte Kulisse. Fährt man mit dem Auto durch die Region, rollt man durch verwunschene Wälder, vorbei an Wiesen mit Farnen und den typischen, vor Jahrhunderten von Hand aufgeschichteten Steinmauern. Am Straßenrand blühen lila Lupinen neben bemoosten Felsen. Klingt nach Kitsch, ist aber in Wirklichkeit so. Småland ist ein Traumziel für Natur- und Tierfreunde – und somit auch für Kinder und Jugendliche. Perfekt also für Familienreisen.

Tatsächlich gibt es auch die berühmten gelb-roten Warnschilder mit dem Elch. Die Einheimischen lieben diese Tiere – und machen dennoch im Herbst alljährlich Jagd auf sie. 80 000, ein gutes Viertel der Population, wurden 2016 erlegt – allerdings vor allem im Norden des Landes. Die Schweden verzehren jährlich etwa 11 000 Tonnen Elchfleisch. Dem entsetzten Mitteleuropäer, der soeben in einem der vielen Elchparks, etwa dem Grönåsen nahe der Ortschaft Kosta, das samtige Geweih und das flauschige Fell des Königs der Wälder gestreichelt hat, erklären die Einheimischen, dass dies sein muss: Die Population würde überhandnehmen, die Gefahr auf den Straßen auch. Außerdem habe die Jagd in Skandinavien eben Tradition.

Paradebeispiele für Tradition gibt es in Småland zuhauf, auch wenn vieles mittlerweile nur der Touristen wegen aufrechterhalten wird – wie das alte Handwerkerdorf Korrö, dessen Blütezeit im 19. Jahrhundert längst passé ist. Seit 1948 ruhen die Betriebe, besichtigen lassen sich Gerberei, Färberei, Mühle und Sägewerk am Flüsschen Ronnebyå aber bis heute. Korrö ist zugleich Ausgangspunkt für Rad-, Kanu- oder Kajaktouren.

Noch immer heißt der Landstrich zwischen Växjö und Kalmar „Glasriket“, doch von den einst über 100 Glashütten gibt es nur noch wenige. Für die Zuschauer ist es dennoch beeindruckend, wenn in Kosta – die dortige „Glashytta“ wurde bereits 1742 gegründet und ist die älteste der Region – ein Glasbläser aus einem 1200 Grad heißen, rot glühenden Klumpen klebriger Masse ein edles Glas herstellt.

Sogar seit 1320 soll jene Halbinsel im Åsnen-See besiedelt sein, auf der die Familie Olsson seit 1967 das Anwesen Getnö Gård betreibt. „Damals vor 50 Jahren hat sich mein Vater Lennart hier seinen grünen Traum verwirklicht“, sagt Besitzerin Ingrid Olsson dem Besucher des Lake Åsnen Resorts. Wenn sie hier, mitten im satten Grün des Nadelwalds, erzählt, dass ihrem Vater einst die größte Betonfabrik Schwedens gehörte, klingt dies wie ein schlechter Scherz. „Er wollte seinen Mitarbeitern ermöglichen, in der Natur zu sein“, sagt Ingrid Olsson, die selbst seit Jahrzehnten hier lebt, in perfektem Deutsch. „Die Natur zu bewahren, das ist mein Ziel.“ Dass die Region um den Åsnen-See ab 2018 ein staatlich anerkannter Nationalpark wird, freut sie sichtlich. Irgendwann in der Zukunft werde schließlich ihr Sohn das Anwesen übernehmen – mitsamt dem kleinen Hotel, den Ferienhäusern und dem Vier-Sterne-Campingplatz.

Erfolge mit Angel-Legende Kjell

Das mit dem Naturerlebnis funktioniert auf Getnö Gård grandios: dass es nachts derart dunkel und still sein kann, hatte man schon vergessen. Tagsüber wiederum pulsiert das Leben. Dass es im Åsnen vor Fischen nur so wimmelt, merken sogar die Jüngsten bei ihrer Tour mit dem wunderbaren Guide Kjell Johansson. Der Mann ist im Süden Schwedens eine Angler-Legende. Er hat Bücher verfasst und weiß einfach, wo sich die Hechte, Rotfedern und Barsche tummeln. Selbst Kinder von zehn Jahren ziehen bei der ersten Sportangel-Tour mit ihm Fische von locker 20 Zentimetern Länge aus dem klaren Wasser. Oder waren es doch eher 35 Zentimeter? 40 womöglich?

Olsson und ihr Team bieten Kanu- und Kajaksafaris an, Reittouren auf Islandpferden und für Frühaufsteher Touren zu den „Åsnen Big Five“: Seeadler, Fischadler, Elch, Prachttaucher und Kranich. Auch gibt es eine winzige Insel, die den Kindern der Gäste vorbehalten ist. „Naturschule nennen wir das“, sagt Ingrid Olsson strahlend. Sie weiß, dass in jedem Kind ein bisschen Pippi Langstrumpf oder Michel aus Lönneberga schlummert.

Apropos: Den Hof aus den Filmen gibt es tatsächlich. „Katthult“, ein bewirtschaftetes Gehöft, kann besichtigt werden – nicht in Lönneberga, sondern nahe der kleinen Ortschaft Gybberyd bei Vimmerby im Norden Smålands. Am Original-Drehort sieht es aus, als wäre die Zeit stehen geblieben. Und im Souvenirladen in Lindgrens Heimatort Vimmerby, wo sich der Erlebnispark „Astrid Lindgrens Värld“ befindet, gibt es alles: von der Mütze bis zum legendären Holzgewehr, mit dem Michel den Werwolf erlegen wollte.

Bei Astrid Lindgren im schwedischen Original heißt der Lausbub übrigens Emil. Damals, als die Bücher ins Deutsche übersetzt wurden, sollten Verwechslungen mit Erich Kästners „Emil und die Detektive“ vermieden werden. Und das legendäre Rot der Häuser ist eigentlich auch die Folge einer Schwindelei. Im 14. Jahrhundert wurden in Schweden viele Holzkirchen rot angestrichen, um den teuren Backstein, der in Zentraleuropa verbaut wurde, zu imitieren. Zwei Jahrhunderte später ließ Schwedens König auch noch das Dach des Stockholmer Schlosses rot bemalen. Es sollte wie Kupfer aussehen. Ansonsten ist in Småland aber alles echt. So wie im Buch. Oder wie im Film. Oder wie im Kopf.

Weitere Informationen unter www.visitsweden.com und www.visitsmaland.com .

Die Recherche wurde unterstützt von Visit Sweden und Småland.