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„Mit europäischem System sind wir unabhängig“

Panorama / Lesedauer: 5 min

Paolo Ferri, Leiter des Esa-Missionsbetriebs, über den aktuellen Stand des Galileo-Projekts
Veröffentlicht:24.05.2016, 18:06

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Zwei neue Satelliten für das europäische Navigationssystem Galileo hat eine Sojus-Rakete am Dienstag ins All gebracht. Im Gespräch mit Daniel Drescher erklärt Paolo Ferri von der Europäischen Weltraumorganisation Esa, wie es mit Galileo weitergeht, warum Europa ein solches System braucht und wie es im Alltag spürbar sein wird.

Herr Ferri, was ist da am Dienstag genau passiert?

Zwölf Galileo-Satelliten für sind bereits im All. Am Dienstag sind Nummer 13 und 14 gestartet. Üblicherweise werden zwei Satelliten mit einer Rakete transportiert. Der Start war um kurz vor elf Uhr. Die Reise der Rakete dauerte dann vier Stunden, bis die Satelliten in der endgültigen Umlaufbahn waren und sich von der Rakete getrennt haben. Zwischen dem Start und der Trennung hatten wir nicht viel zu tun, da hieß es abwarten. Als dann die ersten Signale kamen, konnten wir anfangen, damit zu arbeiten.

Wenn der Start erfolgt ist, wie geht es weiter und worauf müssen die Esa-Mitarbeiter achten?

Wir müssen die Satelliten nicht nur im Auge behalten, sondern auch viel selbst unternehmen. In der ersten Stunde zwischen der Trennung von der Rakete und dem Ende der Anfangsphase arbeiten die Satelliten selbstständig und schicken Signale zu uns. Es läuft eine automatische Sequenz. Dabei müssen drei wichtige Dinge passieren: Die Satelliten müssen ihre Sender einschalten, damit wir am Boden Telemetrie empfangen können. Dann müssen sie sich Richtung Sonne ausrichten und die Solarpanele müssen entfaltet werden. Wenn etwas nicht funktioniert, müssen wir intervenieren. Aber das ist sehr kritisch und wir haben nicht viel Zeit. Danach dauert es fast zwei Wochen, in denen unsere Leute die Kontrolle über die Satelliten übernehmen, die Instrumente einschalten und konfigurieren und alles für die Mission vorbereiten.

Wie viele Leute braucht es dafür?

Wir haben drei Teams, die 24 Stunden am Tag ununterbrochen in Schichten arbeiten. Es sind fast 100 Leute. Eine Gruppe des Kontrollzentrums Esoc (European Space Operations Centre) ist dabei, zu unserer Organisation gehören 22 Nationen. Davon sind die meisten vertreten. Ein Team der französischen Weltraumagentur (Cnes) ist auch mit dabei. Dazu kommt die Industrie, die Leute, die die Satelliten gebaut haben. Sie gehören nicht direkt zum Missionsbetriebsteam, aber in der Anfangsphase ist es sehr gut, dass sie dabei sind. Wenn etwas schiefgeht, nutzen wir ihre Erfahrungen und ihre Erkenntnisse. Diese Leute kommen hauptsächlich von der deutschen Firma OHB aus Bremen. Viele andere Teile der Satelliten wurden in anderen europäischen Ländern gebaut.

In welchem Stadium befindet sich das Galileo-Projekt?

Zwölf Satelliten waren bereits im All, jetzt kamen zwei weitere hinzu, insgesamt brauchen wir 26. Wenn man nur die Satelliten zählt, sind wir in der Mitte. Bis Anfang 2018 sollten alle Satelliten im All sein. Um das System am Laufen zu halten, braucht man natürlich auch Bodenstationen und Kontrollzentren. Bis Anfang 2018 sollten wir voll einsatzbereit sein. Aber mit 18 Satelliten Ende des Jahres wollen wir schon anfangen mit den ersten Diensten und Signale für die normalen Nutzer produzieren.

Stichwort Nutzer: Wie kommen wir denn im Alltag in Berührung mit Galileo?

Es werden neue, spezielle Dienste entstehen, die vielleicht in der Landwirtschaft oder in der Flugkontrolle integriert werden. Das merken Sie nicht, aber diese Dienste werden benutzt und dann fliegen Sie vielleicht mit Flugzeugen, die sich auf Galileo stützen. Das wird in den nächsten Jahren passieren. Oder Sie essen Kartoffeln, bei denen die Traktoren von Galileo gesteuert wurden. Und: Ihr Mobiltelefon oder Navi wird so ausgestattet, dass es nicht nur GPS-Signale empfangen kann, sondern auch Signale von Galileo. Heute kommuniziert Ihr Mobiltelefon mit unterschiedlichen Systemen wie LTE und GPRS, ohne dass Sie das merken. Neue Mobiltelefone sollen in der Lage sein, alle möglichen Navigationssysteme, auch russische und chinesische, zu nutzen. Das erhöht die Flexibilität. Das beste System mit der höchsten Präzision kann dann automatisch gewählt werden.

Welche Vorteile hat ein eigenes europäisches Navigationssystem?

Heute sind wir total abhängig vom GPS-System, das fürs Militär gebaut wurde. Die ganze Welt läuft mit GPS. Das amerikanische Militär könnte eines Tages entscheiden: Wir lassen keine zivile Nutzung mehr zu. Das ist nur theoretisch. Aber die Folgen wären katastrophal. Mit einem europäischen System haben wir unsere Unabhängigkeit. Strategisch und politisch ist das sehr wichtig. Und es ist ein moderneres System, das hauptsächlich für zivile Zwecke gebaut wird, aber auch vom Militär genutzt werden kann. Galileo wird besser für die europäischen Bürger sein.

Die beiden Satelliten heißen „Danielè“ und „Alizée“. Wer gibt den Satelliten die Namen?

Die Satelliten gehören nicht der Esa, sondern der EU. Die EU hat das Projekt gestartet und stellt das Geld zur Verfügung. Die Esa baut das Projekt. Ich bin mir sicher, die EU hat sich die Namen ausgedacht, wer genau, kann ich aber nicht sagen.

Sie haben schon viele Missionen mitgemacht. Stellt sich da irgendwann Routine ein oder ist es doch jedes Mal aufs Neue aufregend?

Ein Raketenstart ist nie Routine. Die Raketen sind zuverlässiger geworden. Aber bei einer Galileo-Mission vor zwei Jahren haben wir fast eine Katastrophe erlebt. Die letzte Stufe der Rakete funktionierte nicht richtig. Als wir die Kontrolle übernommen haben, stellten wir fest, dass die Satelliten in der falschen Umlaufbahn waren. Um die neue zu kalkulieren, brauchten wir drei Stunden – eine Horrorzeit. Wir haben sie dann auf eine fast richtige Umlaufbahn gebracht. Das war einer der schwierigsten Starts, die ich in meiner 30-jährigen Karriere erlebt habe. Man schläft nicht so ruhig am Tag vor dem Start.

ZUR PERSON: Dr. Paolo Ferri ist Bereichsleiter des Satellitenbetriebs bei der Europäischen Raumfahrtagentur. Der studierte Physiker kam nach dem Studium direkt zum Esoc. 20 Jahre lang war er auch an der Rosetta-Mission beteiligt. „Eine schöne Arbeit“, sagt er über seinen Beruf.