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Digitalisierung

Hirnforscher wütet gegen Taschenrechner & E-Books

Ulm / Lesedauer: 7 min

Hirnforscher wütet gegen Taschenrechner & E-Books
Veröffentlicht:09.11.2016, 18:43

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Taschenrechner und E-Books sind gefährliches Teufelszeug – findet Hirnforscher Manfred Spitzer. Im Interview mit Yannick Dillinger und Ludger Möllers erklärt der ärztliche Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie III an der Universitätsklinik Ulm, weshalb er Mark Zuckerberg für einen „Parasiten unserer Gesellschaft“ hält, wieso Schüler cleverer googeln sollten und wie er seine Bücher am Computer tippen kann, ohne dabei etwas weniger schlau zu werden.

Herr Spitzer, Zukunftsforscher Sven Gábor Jánszky hat

Nein, da bin ich anderer Ansicht. Wir registrieren bei jungen Menschen durch die Nutzung digitaler Medien eine Abnahme des kognitiven Leistungsniveaus. Die Digitalisierung nimmt ihnen geistige Arbeit ab. Dadurch trainieren sie das Gehirn weniger. Sie lagern Wissen aus. Sie verlernen zu lernen. Das ist gefährlich. Und es ist großer Unfug zu sagen: Wir brauchen nichts mehr zu lernen, wir können ja googeln. Wenn Sie kein Wissen haben, können Sie gar nichts ordentlich googeln. Sie brauchen Vorbildung, um die Spreu vom Weizen zu trennen.

Heißt das, Schulen müssen jungen Menschen beibringen, clever zu googeln?

Schulen müssen jungen Menschen Wissen vermitteln. Breitestes Wissen. In vielerlei Bereichen. Sodass sie befähigt sind, ihr ganzes Leben lang selbst weiterzulernen. Das Gegenteil ist aber vielerorts zu beobachten. Ein Beispiel: Ab der Klassenstufe, in der Taschenrechner eingesetzt werden, verlernen die Kinder Kopfrechnen. Weil sie es nicht mehr müssen. Mal eben schnell im Kopf 8 mal 4 rechnen – das machen sie eben nicht mehr. Deshalb halte ich Taschenrechner für keine gute Idee in der Mittelstufe.

Ich durfte in der Schule früh Taschenrechner nutzen, habe im Beruf viel mit digitalen Medien zu tun und wusste eben doch relativ schnell, was 8 mal 4 ergibt…

Das mag sein. Sie haben Glück gehabt und sind sich wahrscheinlich im Klaren gewesen, dass es geschickt ist, wenn Sie die wichtigsten Sachen noch im Kopf haben. Ein Einzelfall sagt allerdings gar nichts aus. Wenn ich argumentiere, habe ich wissenschaftliche Belege.

Sie argumentieren seit Jahren in Ihren Büchern. Ihr Bestseller „Digitale Demenz“ ist als E-Book erhältlich. E-Books sind digitale Medien. Ist die Lektüre Ihres Buches gefährlich?

Ich bin gegen E-Books – aber nur, wenn sie vermeintlich verbessert werden: etwa mit Videos statt Abbildungen, mit Hyperlinks statt Quellenangaben. Das E-Book von „Digitale Demenz“ ist eine Eins-zu-Eins-Kopie des gedruckten Buches. Der Inhalt wird vielleicht ein wenig schlechter behalten, das kann sein. Aber damit kann ich leben. E-Books haben eben einen Markt – wenn auch einen kleinen. Gerade für Frauen jenseits der 40 Jahre, die keinen Urlaub machen können, ohne Koffer voller Bücher dabeizuhaben, sind E-Books toll: Sie müssen weniger schleppen.

Für viele Menschen sind auch soziale Netzwerke toll. Macht die regelmäßige Nutzung von sozialen Medien dumm?

Wenn erwachsene Menschen diese Plattformen nutzen, um mit anderen in Kontakt zu bleiben, dann ist das sicherlich nicht schlimm. Wenn aber Kinder und Jugendliche, die beispielsweise das Dechiffrieren von Mimik und Gestik erst lernen müssen, sieben Stunden in Facebook abhängen, dann halte ich das für gefährlich. So erlangen sie keine soziale Intelligenz. Müssen sie aber, wenn sie empathiefähig sein sollen. Studien belegen eindeutig: Je mehr Bildschirm, desto weniger Empathie.

Kritiker werfen Ihnen vor, zweifelhafte Studien zu zitieren und auf komplexe Fragen zu einfache Antworten zu geben…

Halt, stopp. Da sage ich meinen Kritikern: Ich schenke euch, dass die Welt beliebig kompliziert ist. Wissenschaft besteht genau darin, aus dem Komplexen der Welt Einzelfaktoren zu isolieren und dann zu schauen, wie groß deren Einfluss ist. Die Wissenschaft hat festgestellt, dass dreckige Luft Lungenkrebs macht, dass es genetische Faktoren gibt, die Lungenkrebs befördern, dass es Radium im Boden gibt, das Lungenkrebs verursacht. Aber die größte Wahrscheinlichkeit, Lungenkrebs zu bekommen, bringt das Rauchen mit sich. Genau so und keinen Deut anders ist meine Argumentation hinsichtlich der Gefahren der Digitalisierung – und da bleibe ich ganz auf dem Boden der Wissenschaft.

Sie mögen keine Einzelfälle, verstanden. Nun gibt es aber beispielsweise im Silicon Valley recht viele intelligente Menschen, die sich seit frühester Jugend und nahezu permanent mit Digitalem beschäftigen…

Ja und? Da sind wir doch wieder beim Thema Soziales. Zumindest zwischenmenschlich können Sie viele von denen nicht gebrauchen. Viele Computer-Fachleute sind Autisten. Mark Zuckerberg , Steve Jobs, Jeff Bezos: Ich wollte die alle drei nicht zum Chef haben. Das sind Gesetzlose, die machen überall Geld, zahlen keine Steuern. Das sind Parasiten unserer Gesellschaft, die den guten Willen und den Glauben der Menschen ausnutzen und abzocken. Dass wir diesen Menschen erlauben, die Gehirne der kommenden Generationen zu vermüllen und unsere Kultusministerien da noch helfen, das ist einfach nur ein großer Skandal.

Ihnen glauben auch viele Menschen, Sie verdienen auch viel Geld mit dem Thema „Digitalisierung“…

Niemand muss mir „glauben“, es reicht mir völlig, wenn sich Menschen mit meinen Argumenten auseinandersetzen und die wissenschaftlichen Studien zur Kenntnis nehmen, mit denen ich argumentiere. Und niemand hat mir bisher vorgeworfen, dass ein Sachbuch, das mehr als 700 Literaturstellen anführt, im Buchhandel etwas kostet. Über das Argument, der Spitzer kassiere ab, indem er Menschen Angst macht, lache ich. Nicht ich mache den Menschen Angst, sondern die, die von digitaler Disruption sprechen. Das ist übelster Sozial-Darwinismus. „Fressen oder gefressen werden“ – das sagen die vor vollen Hallen, wollen dafür noch Begeisterung entfachen und kommen damit durch. Das ist übelste Angstmache.

Aber Disruption ist doch heutzutage in nahezu jedem Geschäftsbereich – inklusive unserem – festzustellen.

Das gab es doch schon immer. Nur hat man nicht noch gesagt: „Hey klasse, noch mehr davon.“ Wenn Uber tatsächlich die Taxen übernimmt, dann wird einer zum Milliardär und Hunderttausende werden arbeitslos. Wollen wir das eigentlich? Nee. Ich hoffe, die EU ist schlau genug, dass sie gegen diesen Wildwest-Kapitalismus, der da dahintersteckt, was tut.

Auch Ihre Disziplin, die Medizin, ist an vielen Stellen digitalisiert worden. Ist sie dadurch besser geworden?

Ja klar. Aber im Moment sieht es so aus, als würde sie auch wieder schlechter. Die meiste Medizintechnik funktioniert nur noch mit Computern. Was Sie aber nicht algorithmisieren können, ist das Leben selbst. Wenn Sie nur noch den Watson nach einer Diagnose fragen, dann denkt keiner mehr nach. Das ist das Schlimmste, das der Medizin passieren kann.

Gibt es digitale Errungenschaften, die Sie in Ihr Leben reinlassen?

Natürlich, alles. In meinem Leben gibt es Smartphones und Computer. Wenn ich Urlaub an der Ostsee mache, habe ich WLAN und komme an jede wissenschaftliche Publikation in fünf Sekunden. Da kann ich Bücher schreiben. In aller Einsamkeit und Ruhe, die ich dafür auch brauche. Ich habe nichts gegen digitale Medien. Wo etwas Wirkung hat, gibt es auch Risiken und Nebenwirkungen. Das ist alles, was ich sage.

Wie schreiben Sie Ihre Bücher? Auf Papier oder am PC?

Natürlich am PC.

Haben Sie keine Angst, dabei etwas weniger schlau zu werden?

Nein, ich denke dabei ja nach. Ich daddel nicht. Es ist ja nicht der Bildschirm, der dumm macht. Sondern die falsche Nutzung.

Wo ziehen Sie denn die Grenze?

Ich nutze digitale Medien nicht auch noch zur Freizeitgestaltung. Wie dämlich wäre das denn auch? Und meine Kinder erst recht nicht. Keine Playstation, keine Spiele. Das ist alles nur vertane Zeit, die man besser einsetzen kann. Lernen bildet, Daddeln nicht.

Professor Manfred Spitzer (58) ist der ärztliche Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie III an der Universitätsklinik Ulm und renommierter Hirnforscher. In seinen Publikationen setzt er sich mit den Risiken und Nebenwirkungen der Digitalisierung auseinander.