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Schulhof

Sie nannten ihn Mücke

Panorama / Lesedauer: 4 min

Trauer um Schauspieler Bud Spencer – In Schwäbisch Gmünd hat er eine besonders große Fangemeinde
Veröffentlicht:28.06.2016, 17:50

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Die Welt auf den Schulhöfen der 70er und 80er Jahre zerfiel grob in zwei Lager: Auf der einen Seite standen da die Schüler der Marke Terrence Hill, also die gefälligen Schlanken, sportlichen, denen die Pubertät und das Leben an sich wie von selbst von der Hand gingen. Auf der anderen Seite gab es da die Figuren, denen das Glück nicht so leicht zuflog, die zu kämpfen hatten, um sich zu behaupten. Etwa die Dicklichen, die diesen selbstbewussten Horden der Terence Hills auf den ersten Blick nur wenig entgegen zu setzen hatten. Aber nur scheinbar.

Denn hinter den rundlichen Außenseitern stand im Kino die Naturgewalt einer imposanten Identifikationsfigur: nämlich Bud Spencer , der am Montag mit 86 Jahren in Rom gestorben ist. Aber nur in der unbedeutenden Welt des wirklichen Lebens. In den Sphären der persönlichen Kinder- und Jugendhelden wird der als Carlo Pedersoli 1929 in Neapel geborene Schauspieler für Millionen so unsterblich bleiben wie Superman oder die Biene Maja.

Doch da würde Bud Spencer sofort widersprechen, denn dass er ein Schauspieler im eigentlichen Sinn gewesen wäre, hat der Drei-Zentner-Mann selbst am wenigsten geglaubt. Und das mit dem Heldentum – tja dafür war Pedersoli zu bescheiden, aber doch klug genug, seinen Erfolg als Geschenk zu verstehen und zu genießen. In seiner Autobiographie schrieb er, dass er gerade wegen der Verkörperung schlichter Charaktere mit Stärken und vor allem auch Schwächen beim Publikum so beliebt sei. Die stereotypen Rollenmuster, die er und sein Kollege Terrence Hill mit kunstvoll choreographierten Schlägereien auf der Leinwand auslebten, funktionieren aber nur in einer klaren und übersichtlichen Welt: da die Guten und dort die Schurken. Dazwischen: nicht sehr viel mehr außer legendären Fress-Szenen. Zum Beispiel in „Vier Fäuste für ein Halleluja“, als sich die beiden ein Menü im Sterne-Restaurant gönnen und damit archetypisch zwei Welten aufeinander krachen lassen: Da die feinen Pinkel mit erlesenem Benehmen, dort die Proleten, die das Essen in ihrer Unbekümmertheit zu einer Art Rülps-Wettbewerb umfunktionieren und damit die Erziehungsversuche an Generationen von Halbwüchsigen wirkungsvoll unterlaufen.

Aber Carlo Pedersoli hätte auch ohne Kino ein buntes Leben gehabt. Denn so einfach sein Rollenfach im Film auch gehalten war, so facettenreich war seine Persönlichkeit vor, während und nach seiner Leinwandkarriere. Es gab eine ganze Menge Pedersolis: etwa jenen, der 1950 als erster Italiener 100 Meter unter 60 Sekunden schwamm und Mitglied des Olympiateams war. Oder den Pedersoli, der 1957 in Rekordzeit sein Jurastudium abschloss. Oder der Pedersoli, der als Komponist arbeitete. Oder den Erfinder Pedersoli, der das dreiläufige Gewehr zum Patent anmeldete. Oder, oder, oder – ach ja, ein gewisser Carlo Perdersoli gründete auch die Fluglinie Mistral Air, die heute noch fliegt. Der Mann hat der Nachwelt also eine Menge hinterlassen, auch wenn seine Filmfiguren den stärksten Nachhall haben werden, wobei die charmante Raubeinigkeit seiner Charaktere nicht zuletzt einer legendären Synchronisation zu verdanken ist. Vor allem die von Rainer Brandt bei der „Deutschen Synchron“ stammenden Dialoge haben eine unerreichte Komik, weil sie sich weit vom Original entfernen und sich eine Schnoddrigkeit erlauben, die den jeweiligen Film erst sehenswert macht.

Vielleicht ist am Ende die glaubwürdige Ähnlichkeit zwischen der bärenstarken Filmfigur Bud Spencer und dem langmütigen, gelassenen und nahbaren Carlo Pedersoli der Grund dafür, warum dieser Mann auch weit über 20 Jahre nach seinem letzten Prügelwestern eine solche Präsenz im Herzen seiner Zuschauer besitzt. Wie er zu seinem Künstlernamen kam, erzählte er einst in einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“: „Ich hatte eine Riesenangst, dass ich mir mit einem Flop meinen guten Ruf als Schwimmer kaputtmache. Deshalb habe ich mir den Künstlernamen Bud Spencer ausgedacht. Bud wie das Bier und Spencer wie Spencer Tracy.“

In einer ganzen Reihe eindrucksvoller Fernsehauftritte der letzten Jahre strahlte Spencer eine derart natürliche Würde aus, die nur noch von seiner Selbstironie übertroffen wird, von seiner unerschütterlichen Zuversicht ganz abgesehen. Das Geheimnis hinter seiner sprichwörtlichen Gelassenheit enthüllt er in einem seiner komponierten neapolitanischen Lieder selbst: „Deine Freundin zieht mit einem anderen um die Häuser? Scheiß drauf! Es gibt immer auch eine andere Frau, du kommst darüber weg. Kein Grund, dich zu erschießen!“ Das Leben nicht so ernst nehmen, sich nicht unterkriegen lassen, sich von den anderen nichts vormachen lassen. Es einfach tun. Das war Carlo Pedersoli, und das war auch Bud Spencer. Auf jeden Fall wird es nach dem Tod dieses großen Lebenskünstlers auf den Schulhöfen nicht leichter für die kleinen Dicken.