„Es gibt keinen Wundertrunk gegen gesundheitsgefährdende Übel. Aber es gibt doch etwas Gutes, das medizinisch bewährt ist, einfach und wirkungsvoll: sich impfen lassen.“ Das Statement von Bundesminister a.D. Franz Müntefering in einer Broschüre lässt an Klarheit nichts vermissen. Trotzdem ist in Deutschland nicht jeder von der Notwendigkeit dieser Immunisierung überzeugt, wie die Impfquoten belegen. Geht es aber nach dem Nationalen Aktionsplan, sollten die gefährlichen Masern- und Rötelnviren bis 2020 in Deutschland eliminiert sein.
Um dieses Ziel zu erreichen, brauchen 95 Prozent der Bevölkerung einen ausreichenden Impfschutz: Dass dies noch lange nicht gegeben ist, belegt ein Vorfall in Hofheim bei Frankfurt im März dieses Jahres. Ein Mädchen erkrankte an Masern. Daraufhin wurden vom Gesundheitsamt vorsorglich ein Drittel der Lehrer und 150 Schülerinnen und Schüler vom Unterricht ausgeschlossen, weil sie keinen Impfschutz für Masern nachweisen konnten.
Immerhin: Langsam steigt die Impfquote, die Zahlen für das vergangene Jahr lesen sich auch nicht so dramatisch. In Baden-Württemberg erkrankten nach Angaben des Landesgesundheitsamtes 2016 insgesamt 25 Menschen an Masern, das sind deutlich weniger als 2015 mit 132 Fällen (bundesweit: 2465). Doch Entwarnung kann trotzdem nicht gegeben werden. Im Land wurden in diesem Jahr bereits 40 Masernfälle gemeldet. Oft sind Ballungsräume, wie zuletzt auch Duisburg und Leipzig, von solchen Ausbrüchen betroffen. Dorothea Matysiak-Klose, Masernexpertin im Fachbereich Impfprävention des Robert-Koch-Instituts (RKI), hat dafür auch eine plausible Erklärung: „Es gibt in diesen Städten Gruppen von Menschen, die bisher nicht geimpft wurden und die keine Immunität aufweisen. Je größer diese Gruppierungen sind und je mehr sie miteinander in Kontakt stehen, desto länger sind die Infektionsketten von Mensch zu Mensch und desto mehr Fälle werden beobachtet.“
Skepsis gegenüber dem Impfen gibt es durchaus, wie Befragungen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) 2014 ergaben. So lehnten damals zwei Prozent das Impfen völlig ab, vier Prozent waren auch eher abgeneigt, und ein Viertel sprach sich nur teilweise für eine Immunisierung aus. Die Gründe der Impfgegner und -skeptiker sind vielfältig. Sie reichen von der Behauptung des Biologen Stefan Lanka, Masernviren gebe es gar nicht, über die längst widerlegte Studie des britischen Arztes Andrew Wakefield von 1998, wonach eine Masern-Mumps-Röteln-Impfung Autismus fördern würde, bishin zum Vorwurf rein geschäftlicher Interessen der Pharmaindustrie.
Auch die Furcht vor Impfschäden spielt eine Rolle. Die gibt es, und das Leid der Betroffenen soll hier nicht geschmälert werden. Allerdings sind die Zahlen gering. In der Zeit von 2005 bis 2009 gab es in der Bundesrepublik insgesamt 169 anerkannte Impfschäden.
Wie kommt es aber, dass sich Mythen und Falschinformationen im Bezug auf das Impfen so hartnäckig halten? Der Virologe, Professor Thomas Mertens , Ärztlicher Direktor am Universitätsklinikum Ulm und Vorsitzender der Ständigen Impfkommission (STIKO), macht zumindest teilweise das Internet dafür verantwortlich. „Die Aussagen, die da verbreitet werden, sind wissenschaftlich ja nicht geprüft. Da gibt es keine eingebaute Qualitätskontrolle“, sagt der Wissenschaftler. Zudem seien es auch die überzeugten Impfgegner, die diese Falschinformationen bewusst streuten und dann auch aufrechterhielten.
Deutschland ist Schlusslicht
Bundesweit liegt die Impfrate für die 1. Masernimpfung bei den Schulanfängern bei 97,4 Prozent, für die 2. Masernimpfung bei 92,8 Prozent. Baden-Württemberg nimmt einen unterdurchschnittlichen Rang ein. Bei Schuleingangsuntersuchungen wurde 2016 eine Quote von 95,2 Prozent für die erste Impfung und 89,5 Prozent für die zweite Impfung festgestellt. Das bedeutet: Ziel verfehlt, denn Maßstab für die Erreichung der Masernelimination ist eine Impfquote von 95 Prozent bei beiden Masernimpfungen. Außerdem erfolgen die Impfungen in vielen Fällen zu spät.
„Schlimm, dass Deutschland inzwischen in Europa das Schlusslicht bei der Masernelimination ist“, stellt Lothar H. Wieler, Präsident des Robert Koch-Instituts, aufgrund der neuen Auswertung von Abrechnungsdaten der Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) fest. Erstmals haben die RKI-Wissenschaftler die absolute Zahl der Kinder hochgerechnet, die zum empfohlenen Zeitpunkt nicht oder nicht vollständig gegen Masern geimpft sind. Die erste Masernimpfung wird für das Alter von elf bis 14 Monaten empfohlen, die zweite für 15 bis 23 Monate alte Kinder. Im Alter von 24 Monaten waren nach der neuen Auswertung bundesweit 150000 Kinder des Jahrgangs 2013 nicht vollständig und weitere 28000 Kinder gar nicht gegen Masern geimpft.
Die größten Lücken beim Impfschutz bestehen derzeit aber nicht bei Kindern, sondern bei Jugendlichen und Erwachsenen, wie Sebastian Gülde, Pressereferent im Bundesgesundheitsministerium, auf Anfrage mitteilt. Deshalb soll nach dem 2015 verabschiedeten Gesetz zur Stärkung der Gesundheitsförderung und der Prävention der Impfschutz bei allen Routine-Gesundheitsuntersuchungen für Kinder, Jugendliche und Erwachsene sowie bei den Jugendarbeitsschutzuntersuchungen überprüft werden. Auch Betriebsärzte sollen künftig allgemeine Schutzimpfungen vornehmen können.
Wie wichtig Information in diesem Zusammenhang ist, zeigt auch eine Erhebung der BZgA von 2014: Damals war 74 Prozent der Befragten die Masern-Impfempfehlung der Ständigen Impfkommission völlig unbekannt. Immerhin ist der Anteil der Informierten in zwei Jahren um sieben Prozent gestiegen. Dazu hat vielleicht auch das Internetportal „Mach den Impfcheck“ beigetragen. Die Initiative des Sozialministeriums in Zusammenarbeit mit der AOK und der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg sowie der Jugendzeitung „YAEZ“ bietet mit flott gemachten Videos und interaktiven Test verständlich verpacktes Wissen rund um die Bedeutung der Immunisierung für die Neun- bis 19-Jährigen. Dabei geht es nicht nur um Masern, sondern auch um andere Infektionskrankheiten.
Impfpflicht wäre kontraproduktiv
Wenn Impfquoten nicht erfüllt werden, sollte dann eine Impfpflicht eingeführt werden? Laut Infektionsschutzgesetz (Paragraf 20 Abs. 6 und Abs. 7) ist dies nur möglich, „wenn eine übertragbare Krankheit mit klinisch schwerer Verlaufsform auftritt“. Davon kann ausgegangen werden, wenn eine Krankheit häufig oder immer zu schweren, bleibenden Gesundheitsschäden oder zum Tod führt. Dies trifft bei den meisten Krankheiten, für die es eine Schutzimpfung gibt, jedoch nicht zu, heißt es in einer Mitteilung des Sozialministeriums in Stuttgart. RKI-Pressesprecherin Glasmacher erklärt: „Es gibt ausreichend gute Argumente für eine Impfung. Eine Impfpflicht könnte den unerwünschten Eindruck erwecken, dass die Argumente doch nicht so gut sind. Zudem wäre bei Einführung einer Impfpflicht massiver Widerstand der organisierten Impfgegner und vermutlich auch mancher Eltern zu erwarten, der zum Beispiel die Masernimpfung in der öffentlichen Wahrnehmung eher diskreditieren als stärken würde.“ Auch Virologe Mertens hält nichts von einer Impfpflicht, weil bei jeder medizinischen Maßnahme Nebenwirkungen auftreten können. Auch bei der Impfung. Diese dann gegen den Willen der Eltern durchzuführen, hält er für sehr problematisch.
In der Folge am Montag geht es um Brustkrebs. Alle Teile der Serie und weitere Informationen finden Sie unter
www.schwaebische.de/leibundseele .
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