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Xavier Naidoo

Debatte um Naidoo-Song: Der verlogene Sohn

Panorama / Lesedauer: 6 min

Debatte um Naidoo-Song: Der verlogene Sohn
Veröffentlicht:09.05.2017, 19:56

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Er hat Millionen von Platten verkauft, galt lange als deutscher Vorzeigekünstler, aber mit seinem neuen Song „Marionetten“ hat sich Xavier Naidoo nun erneut Vorwürfe eingehandelt, Rechtspopulisten und Reichsbürgern das Wort zu singen. Weil er mit seiner Band Söhne Mannheims ein wichtiger Imageträger der gleichnamigen Stadt ist, kam es zum Krisengespräch. Resultat: Naidoo und seine Mitmusiker distanzieren sich von braunem Gedankengut, die Stadt vergibt ihm – doch zurück bleibt ein schaler Nachgeschmack.

Drei Stunden sollen die Söhne Mannheims und Oberbürgermeister Peter Kurz (SPD) über das umstrittene Lied „Marionetten“ diskutiert haben. Doch Xavier Naidoo bleibt dabei, wie aus seinem bei Facebook veröffentlichten Statement hervorgeht: Sein Song sei missverstanden worden, Textteile aus dem Kontext gerissen, es seien Unterstellungen, die er ja schon längst klargestellt habe. In seine Songs spielten Erfahrungen und Beobachtungen aus dem Alltag hinein, Einfluss auf die Entstehung seiner Lieder habe ganz sicher sein Unterbewusstsein. Er betont auch seine Herkunft und seine multikulturelle Prägung, weist auf seine südafrikanisch-irische Mutter und seinen indisch-deutschen Vater hin.

Bühne frei für Verschwöhrungstheoretiker

Doch was ist misszuverstehen an Pegida-tauglicher Politikerschelte wie „Teile eures Volkes nennen euch schon Hoch- beziehungsweise Volksverräter“ oder an der Drohung „Wenn ich so ein’n in die Finger krieg’, dann reiß’ ich ihn in Fetzen“? Auch Verschwörungstheoretiker dürfen sich angesprochen fühlen, wenn er von „Pizzagate“ singt, einer kruden Fake News aus dem Wahlkampf der US-Präsidentschaftswahl 2016, derzufolge Hillary Clinton und andere Mächtige von einer Pizzeria aus einen Kinderpornoring betreiben? Klingt wirr? Ist es auch.

Viele Fans verstehen trotz allem nicht, was die Aufregung um ihr Idol soll. Nun ja: Der 45-Jährige ist dank Hits wie „Und wenn ein Lied“ und der WM-Hymne „Dieser Weg“ einer der populärsten Musiker Deutschlands, millionenfach haben sich seine Nummer-Eins-Alben verkauft. Dank seiner Erfolge wie etwa als Gewinner von Stefan Raabs Bundesvision Song Contest 2012, als Jurymitglied der Castingshow „The Voice of Germany“ und aktuell als Moderator seiner eigenen Sky-Sendung „Wunschkonzert“ hat Naidoo enorme Fernsehreichweite. Zudem sind er und seine Band eng mit Naidoos Geburtsort Mannheim verbandelt (siehe Kasten).

Stadt Mannheim übt Kritik

Die Söhne Mannheims zeigen sich in ihrem Statement „traurig über die entstandenen Irritationen“ und distanzieren sich von der „Vereinnahmung unserer Musik durch Feinde der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit“. Die Stadt Mannheim kritisiert den Song, würdigt aber auch, was man gemeinsam erreicht habe. Die Distanzierung der Stadt wirkt halbherzig.

Denn es ist ja nicht das erste Mal, dass sich Xavier Naidoo von einer Seite zeigt, die so gar nicht zum Bild des gläubigen Christen passen will, welches Naidoo gerne monstranzartig vor sich herträgt. 2012 veröffentlichte Naidoo gemeinsam mit dem Rapper Kool Savas das Album „Gespaltene Persönlichkeit“, auf dem der Song „Wo sind sie jetzt?“ zu finden war. Das Lied stieß auf heftige Kritik, weil es Homosexualität mit Pädophilie gleichsetzte. In wirren, aber vor allem extrem vulgären Worten ging es um dunkle Mächte, Okkultismus und Kindesmissbrauch. Diese Verschwörungstheorie thematisierte Naidoo auch in einem Interview mit dem Radiosender FFN. „Da geht es um furchtbare Ritualmorde an Kindern, die tatsächlich ganz viel in Europa passieren, über die aber nie jemand spricht, nie jemand berichtet.“

Auftritt bei den Reichsbürgern

Im Oktober 2014 machte Naidoo mit einem Auftritt bei einer Veranstaltung der sogenannten Reichsbürger von sich reden. Ausgerechnet am Tag der Deutschen Einheit sprach er vor dem Deutschen Reichstag darüber, dass die Öffentlichkeit über die Anschläge vom 11. September von offiziellen Stellen belogen werde. Auf seinem T-Shirt stand: „Freiheit für Deutschland“. Drei Jahre zuvor sagte er in einem Interview im ARD-Morgenmagazin: „Wir sind nicht frei, wir sind immer noch ein besetztes Land! Deutschland hat noch keinen Friedensvertrag und ist dementsprechend auch kein echtes Land und nicht frei.“ Applaus bekam er für diese Aktionen immer aus Ecken, aus denen Beifall nicht erstrebenswert ist, wenn man sich – wie Naidoo etwa mit dem Projekt „Brothers Keepers“ – in Jahren zuvor gegen Rechts engagiert hat. Zugleich verteidigen ihn seine Fans vehement gegen die vermeintlichen Hetzkampagnen der „Lügenpresse“ – und auch hier erinnern die Kommentare in den sozialen Medien oft genug an den Tonfall von Pegida und Co. Als der NDR Naidoo 2015 zum Kandidaten für den Eurovision Song Contest (ESC) schicken sollte, war der Protest so groß, dass der Sender einknickte. Einer, der die Existenz der Bundesrepublik Deutschland leugnet, als Abgesandter beim größten Musikwettbewerb der Welt? Schwierig.

Auch wenn Naidoo nun von einem „Missverständnis“ redet, von „bewusster Überzeichnung“ und „Zustandsbeschreibungen gesellschaftlicher Strömungen“: Zuerst zu provozieren und sich dann als falsch verstandenes Opfer zu stilisieren, erinnert stark an die Medienstrategie der Rechtspopulisten – genau wie die Wortwahl in „Marionetten“.

Hintergrund:

Wenige Bands im professionellen Musikbetrieb dürften mit ihrer Stadt so eng verbunden sein wie die Söhne Mannheims mit der gleichnamigen Kommune. Immer wieder widmet die Gruppe um Sänger Xavier Naidoo ihrem Gründungsort Lieder – etwa den Song „Meine Stadt“, in dem es über Mannheim heißt: „Sie hat mich herzensgut betreut, ich habe keinen Tag bereut.“ Ihre jüngste CD nannte die Band „MannHeim“ und platzierte die markante quadratische Bebauung der Innenstadt auf die Titelseite. Vor allem die beiden kreativen Köpfe der Gruppe, Naidoo und Michael Herberger, unterhielten lange Jahre ein enges Verhältnis mit der Stadtspitze. Resultat ist unter anderem die 2003 vom Land Baden-Württemberg gegründete Popakademie, an der Naidoo einst wirkte. Beim Jubiläum für das Fahrrad, das vor genau 200 Jahren in Mannheim entwickelt wurde, arbeitete die Stadt auch eng mit Herberger zusammen – etwa für ein Musical. Aktuelles Projekt beider Seiten ist die Nutzung ehemaliger US-Militärkasernen im Stadtgebiet. (dpa)

Das sagen Fans dazu:

Gastspiel am Bodensee: Die Söhne Mannheims sind am Dienstagabend in Bregenz aufgetreten. Vor dem Konzert auf der Werkstattbühne des Festspielhauses hat die Schwäbische Zeitung Fans dazu befragt, was sie von der aktuellen Debatte um Xavier Naidoo und seinen Song „Marionetten“ halten.

Anela Baotic, St. Gallen:

„Das sind alles Lügen, die über Xavier Naidoo erzählt werden. Er ist der beste Sänger auf dem Planeten. Er ist ganz sicher kein Nazi, sondern ein ganz netter Mensch.“

Brigitte Baumann, Lauterach/Vorarlberg: „Am meisten schimpfen jene, die ihn nicht kennen. Die sollen sich mit seinen Texten auseinandersetzen. Xavier Naidoo ist sehr authentisch, weil er zu dem steht, war er sagt.“

Vanessa K., Lindau:

„Ich finde ihn gut, die Lieder sind gut, die Sänger sind gut. Alles anders ist für uns nicht wichtig.“

Daniel S., Lindau:

„Sein neues Lied ist hart, aber herzlich. Wir als seine Fans stehen hinter ihm. Man kann ihn sicher nicht als Nazi bezeichnen.“

Manuela Signer, Wil:

„Die Vorwürfe gegen ihn sind unmöglich. Dies ist eine völlig überflüssige Diskussion. Es ist sicher nicht so, dass er sich in irgendeine politische Richtung bewegt.“

Felix Signer, Wil:

„Da probiert wieder mal irgendwer, ihn schlecht zu machen. Aber Xavier Naidoo will ja mit seinen Texten erreichen, dass diskutiert wird.“ (jau)