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Bei einer Blutvergiftung zählt jede Minute

Panorama / Lesedauer: 5 min

Das Risiko, an einer Sepsis zu sterben, steigt innerhalb von Stunden
Veröffentlicht:29.03.2017, 20:04

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Der 83-Jährige hatte letztlich Glück, er konnte das Krankenhaus nach wenigen Tagen wieder verlassen. Doch seine eitrige Entzündung an einem Zahn, die hohes Fieber und leichte Bewusstseinsstörungen verursachte, hätte auch anders enden können: tödlich. Der Mann kam rechtzeitig ins Krankenhaus, wo er mit Infusionen und einem Antibiotikum behandelt wurde. Das hat ihn womöglich davor bewahrt, dass aus seiner Infektion eine Sepsis wurde.

„Das Risiko, an einer Sepsis zu sterben, steigt innerhalb von Stunden, wenn sie nicht erkannt wird“, sagt Professor Michael Bauer vom Universitätsklinikum Jena, der zudem Sprecher des „Centers for Sepsis Control and Care“ (CSCC) ist. Deshalb sei es so wichtig, ein schärferes Bewusstsein für die Symptome einer Sepsis zu entwickeln – bei Herzinfarkt und Schlaganfall sei dies in den vergangenen Jahren geglückt. „Inzwischen weiß jeder Laie, dass Schmerzen im linken Arm mit dem Herzen zusammenhängen können“, sagt Bauer.

Auch bei Sepsis-Patienten gibt es typische Symptome, die ein Hausarzt, vielleicht sogar ein Angehöriger des Patienten, erkennen könnte: Bewusstseinsstörungen, eine beschleunigte Atmung und der Abfall des Blutdrucks sind die deutlichsten frühzeitigen Symptome – das haben Studien mit mehreren Hunderttausend Patienten in den USA und in Deutschland ergeben. Und natürlich das Gefühl des Patienten, schwer erkrankt zu sein. Auch Schüttelfrost und Rötungen gehörten zu den Symptomen.

Infektion steht am Anfang

Obwohl die Erkrankung so gefährlich ist, können viele Menschen nicht einmal mit dem Namen Sepsis etwas anfangen. Gebräuchlicher ist hierzulande der Begriff Blutvergiftung, auch weil die Sepsis mit Bakterien in der Blutbahn assoziiert wird. „Das kann so sein, das muss aber nicht sein“, sagt der Intensivmediziner Michael Bauer. „Die Blutvergiftung ist eine Untergruppe der Sepsis.“

Aber wie entsteht eine Sepsis überhaupt? Am Anfang jeder Erkrankung steht eine Infektion. Bei älteren Menschen sind es oftmals Lungenentzündungen, die dann schnell tödliche Folgen haben können, oder Harnwegsinfekte. Aber auch eine Mandelentzündung, ein Kratzer auf der Haut oder ein eitriger Zahn können eine Sepsis in Gang setzen. „Es kann sich aus jeder Infektion eine Sepsis entwickeln“, sagt Bauer. Und natürlich spielen auch Krankenhauskeime dabei eine ungute Rolle, vor allem die multiresistenten. „Wenn ich eine Infektion nicht behandeln kann, weil ich nicht weiß, dass der Keim resistent ist, dann ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass diese Infektion septisch verläuft“, so Bauer. Aber letztlich stirbt der Patient nicht, wie von vielen vermutet, an den Bakterien, Pilzen oder sonstigen Eindringlingen. Er wird zum Opfer seiner eigenen Immunabwehr.

„Die Sepsis ist ein Organversagen auf dem Boden einer unangemessenen Antwort des Patienten auf eine Infektion“, sagt Bauer. Das heißt: Wenn der Körper auf eine Infektion so reagiert, dass er dabei das eigene Gewebe und die Organe schädigt, spricht man von einer Sepsis, die in verschiedenen Stadien verläuft. Wenn der Blutdruck massiv abfällt und gleichzeitig mehrere Organe ausfallen, ist dies ein „septischer Schock“.

Weltweit ist die Sepsis die häufigste infektionsbedingte Todesursache, in Deutschland erkranken nach Zahlen der Deutschen Sepsis-Hilfe mehr Menschen daran als an Dickdarmkrebs oder Brustkrebs. Pro Jahr werden 154 000 neue Fälle gezählt, täglich sterben im Schnitt 150 Patienten. Zum Vergleich: An den Folgen einer Aids-Erkrankung sterben hierzulande durchschnittlich zwei Menschen am Tag.

Ein Drittel der Patienten stirbt

„Wir sehen hier im Jenaer Universitätsklinikum etwa 400 Patienten im Jahr mit einer schweren Sepsis“, sagt Michael Bauer. Etwa zehn Prozent der Intensiv-Patienten seien Sepsis-Patienten. Neben all dem persönlichen Leid und den Problemen in der Behandlung sind sie für die Klinik auch ein finanzieller Faktor. 30 Prozent der gesamten Ausgaben für die Intensivmedizin fließen in Jena in die Behandlung der Sepsis-Kranken – und das ist in anderen Intensivabteilungen nicht anders. Und trotz der Bemühungen um Leib und Seele der Patienten überlebt in Deutschland mehr als ein Drittel die Diagnose Sepsis nicht. Die Sterberate liegt hierzulande vergleichsweise hoch bei 36,4 Prozent, im europäischen Durchschnitt sind es nur 26,5 Prozent.

„Wir versuchen, dem Patienten Zeit zu kaufen“, sagt Michael Bauer zur Therapie der Sepsis-Kranken. „Aber letztlich muss jeder selbst aus der Misere wieder herauskommen.“ Anders als bei einer normalen Infektion, bei der Antibiotika gegen die Erreger eingesetzt werden – und somit die Ursache der Erkrankung bekämpft werden kann – versucht man bei einer schweren Sepsis, die Infektion einzudämmen sowie den Patienten mit Flüssigkeit zu versorgen und den Blutkreislauf zu stabilisieren. Aber ein Medikament, das die gestörte Antwort des Immunsystems auf die Infektion verhindern könnte, ist nicht in Sicht. Hoffnungen setzen Bauer und andere Sepsis-Spezialisten in die Individualisierung der Therapien, die in der Krebsmedizin große Fortschritte gebracht habe.

Tückisch, tödlich, unterschätzt – und sie kann jeden treffen: Es gibt zwar Hinweise, dass Krankheiten wie Diabetes, Leberzirrhose und Immundefekte, die chronisch behandelt werden müssen, überproportional häufig zu Sepsis führen. Aber auch alte Menschen, Frühgeborene und Patienten ohne Milz haben ein höheres Risiko. Die deutsche Sepsis-Hilfe empfiehlt deshalb immungeschwächten Menschen, sich gegen Pneumokokken, die häufigsten Erreger der bakteriellen Lungenentzündung, impfen zu lassen.

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