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Ein Plädoyer für Essen mit Genuss

Panorama / Lesedauer: 3 min

Ein Plädoyer für Essen mit Genuss
Veröffentlicht:22.09.2017, 16:38

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Astronautenkost und ominöse Frühstücksriegel degradieren das Essen zur reinen Energiezufuhr. Eine Schande, findet unser Gastrokritiker Erich Nyffenegger.

Wir Menschen sind schon ein lustiges Völkchen: Da schenkt uns der liebe Gott, wenn’s hochkommt, 70 bis 90 Jahre auf diesem schönen Planeten, und wir tun meistens nichts anderes, als so viel zu arbeiten, als müsste es für 200 Jahre reichen. Freiwillig unterwerfen wir uns der Selbstoptimierung. Gehen nicht mehr nur zum Friseur, sondern am liebsten gleich zum Schönheitschirurgen. Anstatt uns anständig hinzusetzen und ein Essen zu genießen, ziehen wir uns Fast Food rein. Gerade so, als sei Essen eine Strafe, die es so schnell wie möglich hinter sich zu bringen gilt.

Diese Entwicklung lässt sich aber noch weiter auf die Spitze treiben. Jüngster Trend ist das Degradieren von Nahrung zu einer reinen Energiequelle. Das fängt an bei ominösen Frühstücksriegeln, die – angereichert mit allerhand künstlichen Vitaminen und Proteinen – die erste Mahlzeit am Tage ersetzen sollen. Also nix mehr mit gemütlich hinsetzen, Zeitung aufblättern, während der Kaffee seinen Duft im gerade erwachenden Haus verbreitet. Kein Frühstücksei. Kein knusprig-duftiges Bäckerbrötchen. Sondern: Schublade auf, Riegel raus, Tüte aufreißen, Riegel in den Hals gestopft – und fertig. Das erinnert an das Verabreichen von Hundekuchen, wobei der eine oder andere Hund besser kaut als so mancher Mensch. Jedenfalls verspricht der Hersteller dieser Riegel-Ernährung Vollwertigkeit. Aber wie könnte eine Mahlzeit ohne das Riechen und Schmecken vollwertig sein? Ohne das Zurücklehnen und Wahrnehmen?

Wer zu faul zum Kauen ist, für den geht es freilich noch degenerierter: Nämlich mit Nahrung aus dem Schüttelbecher. Der Hersteller „Mana“ wirbt zum Beispiel ernsthaft mit dem Slogan: „Nahrung für ein besseres Leben“. Im Prinzip handelt es sich dabei um Astronautenkost. Ein Pulver wird mit Wasser im Schüttelbecher vermischt und getrunken. Ein besseres Leben mit flüssigem Brei, der sonst Menschen nach schweren Operationen als Aufbaukost dient, um langsam zurück ins Leben zu finden? Der Hersteller wirbt um die Alphatierchen unserer Leistungsgesellschaft. Nicht mehr nur der gilt als dynamisch und angesagt, der zig Überstunden schrubbt. Nein, es sind jene, die nicht mal mehr Zeit für eine vernünftige Mahlzeit haben. Bedeutung hat nicht mehr nur der, dessen Handy unablässig den Eingang vermeintlich relevanter Nachrichten verkündet, sondern jene Supermenschen, die auf echtes Essen gänzlich verzichten. Der Nebeneffekt: Wer sich künstlich ernährt, braucht auch keine Angst vor Unverträglichkeiten und Allergien mehr zu haben.

Und wohin führt das, wenn wir diesen Ernährungstrend noch ein Stückchen weiterdenken? Vielleicht zu einer Art Magensonde. Ein System, das permanent misst, was in unserem Blutkreislauf los ist und welche Nahrungsbausteine gerade fehlen, die dann vollautomatisch über die Sonde abgegeben werden. Damit wäre der Supermensch den Robotern, die er einst erfand, um sich die Arbeit zu erleichtern, sehr ähnlich. Die Grenzen verschwimmen. „Mana ist für mich ein gesunder Kraftstoff, dank dem ich allgemein besser funktionieren kann“, verkündet ein Nutzer der Schüttelbecher-Nahrung im Internet und degradiert sich damit selbst vom Individuum zum Automaten. Das Pulver mache sein Leben einfacher. Das Ziel scheint zu sein, das Leben so weit zu vereinfachen, bis es sich quasi von selbst lebt. Ohne lästiges Kauen. Ohne Schmecken. Ohne Riechen. Ohne mich.