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„Angst vor dem Wolf nicht durch Fakten begründet“

Panorama / Lesedauer: 3 min

Christoph Heinrich, Vorstand Naturschutz beim WWF, zur Rückkehr der Raubtiere
Veröffentlicht:16.01.2017, 19:44

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Die Rückkehr des Wolfs ruft emotionale Reaktionen hervor, auch in der Politik. Christoph Heinrich (Foto: Laurin Schmid) hält das für überzogen. Wir haben immer noch das Märchen vom bösen Wolf im Kopf, sagt Heinrich. Er ist Vorstand Naturschutz des World Wide Fund For Nature (WWF), einer der größten Umweltschutzorganisationen weltweit. Im Interview mit Tobias Schmidt spricht er darüber, was Nutztierhalter tun können und warum man das Tier nicht fürchten muss.

Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) will die Wolfspopulation durch eine „beschränkte Abschussfreigabe“ begrenzen. Warum sind Sie darüber empört?

Das kommt nicht überraschend. Landwirtschaftsminister Schmidt bedient seine Klientel. Aber er sollte die teils hysterische Debatte sachlich führen: Es gab im Jahr 2015 etwa 200 Übergriffe, bei denen rund 700 Tiere betroffen waren. Aber ein Wolf, der ein Nutztier reißt, zeigt erstmal kein problematisches, sondern ein ganz natürliches Verhalten. Ein nicht geschütztes Schaf oder Rind ist für den Wolf ein Beutetier. Die Nutztiere müssen deswegen einfach besser gesichert werden.

In jüngster Zeit haben sich Wölfe auch mehrfach Menschen genähert. In Rathenow in Brandenburg ist ein Tier durch die Stadt spaziert. Auch in Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen gab es Fälle. Wann kommt es zum ersten Angriff?

Problematische Wölfe, die sich wiederholt dem Menschen nähern und ihre natürliche Scheu offenbar verloren haben, können nach geltendem Recht bereits heute notfalls geschossen werden.

Wie kann man sicher sein, „Problemwölfe“ rechtzeitig aus dem Verkehr zu ziehen?

Kein einziger der sogenannten „Problemwölfe“ hat ein aggressives Verhalten gezeigt. Sie sehen einfach in Menschen keinen Feind, greifen sie aber auch nicht an. Wir haben in fast allen europäischen Ländern wieder Wolfsvorkommen, teils sogar recht starke. Wir leben in der EU mit Tausenden von Wölfen zusammen ohne dass es zu Angriffen auf Menschen kommt. Uns steckt das Märchen vom bösen Wolf im Hinterkopf, durch Fakten lässt sich die Angst vor dem Wolf nicht begründen. Eine Begrenzung der Population, um Menschen zu schützen, ist deswegen Unfug.

Viele Weidetier-Halter fürchten um ihre Existenz, weil ihnen Wölfe die Schafe reißen. Sind die Sorgen nicht berechtigt?

Wir stehen nachdrücklich hinter jeder Form der freien Weidetier-Haltung. Das ist eine sehr naturverträgliche Art der Landnutzung. Aber Schafe gehören in Wolfsgebieten entsprechend geschützt, etwa durch geeignete Zäune, Hunde oder ein Nachtgatter. Probleme gibt es vor allem dort, wo Tiere auf Weiden auch nachts frei herumlaufen. Das wird Konflikte mit den Wölfen geben. Hier müssen Lösungen mit den Nutztierhaltern gefunden werden.

Wie könnten die Lösungen aussehen?

Die Politik muss diese Art der landwirtschaftlichen Nutzung viel stärker fördern, den Schutz vor Wölfen mitfinanzieren: Das reicht von Elektrozäunen bis zur Frage, ob Hirten oder Hirtenhunde nicht auch nachts bei den Schafen sein können. Im Osten und Süden Europas, wo die Wölfe nie verschwunden sind, werden häufig Herdenschutzhunde eingesetzt. Große, sehr robuste Hunde, die die Herde mit ihrem Leben verteidigen. Oft kann aber auch ein Nachtgatter reichen. Was nicht geht: dass die Weidetier-Halter gar nichts ändern wollen und verlangen, dass der böse Wolf zu verschwinden habe.

Was bringt uns eigentlich der Wolf?

Der Wolf ist ein faszinierendes Tier. Über seine Rückkehr nach Deutschland gibt es unter vielen Menschen auch große Begeisterung. Er bereichert unser Land. Und der Wolf hilft, die Überpopulation beim Rehwild einzudämmen. Wir können die Luchse und Wölfe als zusätzliche Regulatoren gut gebrauchen! Auch wenn viele Jäger das nicht gerne hören, weil sie sich über die Wild-Überbevölkerung freuen, obwohl sie für die Verjüngung unserer Wälder zu einem riesigen Problem wird.