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Bauer: Der Islam ist keine geschlossene Gesellschaft

Weingarten / Lesedauer: 3 min

Bauer: Der Islam ist keine geschlossene Gesellschaft
Veröffentlicht:19.09.2010, 22:05

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„Wieviel Westen steckt im modernen Islam?“, hat Prof. Dr. Thomas Bauer anlässlich einer Christentum-Islam-Studientagung am Donnerstag in der Akademie gefragt. Nicht wenig ist sein Fazit. Was der einst toleranten Weltreligion nicht immer gut getan und Fundamentalismus und Fanatismus Vorschub geleistet habe.

Von unserer Mitarbeiterin

Margret Welsch

„Früher war alles besser.“ Ein Satz, den Nostalgiker und ewig Gestrige gern bemühen, muss man für den Islam wohl so stehen lassen. Denn vor dem Hintergrund islamistischen Terrors, der die Welt seit zehn Jahren in Atem hält, hört es sich an wie ein Märchen aus 1001 einer Nacht, wenn der Islamwissenschaftler von der Uni Münster den Islam aus vormodernen Zeiten heraufbeschwört. Jahrhundertelang waren danach Toleranz, Weltoffenheit und Meinungsvielfalt tragende Säulen der muslimischen Welt. Blühten Pluralismus und die verschiedensten Koranauslegungen unter islamischer Sonne. Da wurde in der Poesie die homoerotische Liebe besungen, respektierte man Wahrheit im Widerspruch. Und es durften Witze auch über Religiöses gemacht werden, ohne dass gleich ein Todesurteil über dessen Urheber oder Autor wie Salman Rushdie verhängt worden wäre.

Spiegelbild des Westens

Warum sich das gewandelt hat, warum heute Hardliner in der islamischen Welt oft das Sagen haben, das lässt sich laut Bauer nicht aus der muslimischen Kultur und Religion allein erklären, da sei auch „westlicher Import“ im Spiel. Der Islam also keine geschlossene Gesellschaft. Mit zeitlicher Verzögerung hätten Muslime sich immer wieder christlich abendländische Werte zu eigen gemacht. Was jetzt wie Widerspruch und Rückständigkeit daherkomme, sei nichts anderes als das Spiegelbild des Westens, der sich aber ob der kurzen Halbwertszeit seiner Normen und Werte darin nicht mehr widererkenne.

Bauer macht dies unter anderem an der islamischen Ächtung der Ehescheidung fest, die so bei uns noch in den sechziger Jahren praktiziert worden sei, im Übrigen im vormodernen Islam toleriert. Auch die Intoleranz gegenüber gleichgeschlechtlichen Beziehungen sei nicht genuin islamisch. Die Bestrafung derselben gründe nicht in der Scharia, sondern im britischen Recht aus der prüden viktorianischen Zeit des 19. Jahrhunderts. Galt die vielfältige Lesart des Korans einst als hohes Gut, so wird sie nun von islamischen Glaubens-wächtern als Bedrohung empfunden und verleugnet. Wobei dieser Hang zu Eindeutigkeit und rigider Deutung laut Bauer unter anderem auf die Konfessions- und Glaubenskriege der westlichen Welt im 16. und 17. Jahrhundert zurückgehen, die der freigeistigen Renaissance ein Ende gesetzt hatten.

Bis heute habe im Übrigen der Westen durch seine Politik mit den Saudis, dem Iran und dem Irakkrieg eher den fundamentalistischen Kräften in die Hände gearbeitet als den gemäßigten.

Der moderne Islam mit seinen Verwerfungen sei also nicht hausgemacht, sondern im Wechselspiel mit dem Westen zu dem geworden, was er ist.