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Medienkultur

Marian Adolf „Ich glaube nicht an den Untergang von Facebook“

Ravensburg / Lesedauer: 9 min

Für den Juniorprofessor für Medienkultur zeichnet sich keine Krise des sozialen Netzwerks ab
Veröffentlicht:03.02.2014, 18:35

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1,2 Milliarden Mitglieder hat Facebook weltweit. Über die Erfolgsfaktoren des sozialen Netzwerkes, Datensicherheit und Jugendschutz unterhielt sich Ingrid Augustin mit dem Juniorprofessor für Medienkultur an der Zeppelin Universität in Friedrichshafen, Marian Adolf .

Was sind Ihrer Meinung nach die Gründe für den Erfolg von Facebook?

Die sind vielgestaltig, aber sicherlich ist einer der Gründe, dass Facebook eine Infrastruktur für Kommunikation anbietet, die wir vorher in dieser Art noch nicht kannten. Denn hier kann sich jeder mitteilen, und pickt sich jene Informationen heraus, die er will: Jugendliche verwenden Facebook um in Kontakt mit Freunden zu treten, um sich Nachrichten zu schreiben sowie zur Selbstdarstellung. Je älter der Nutzer ist, desto mehr nutzt er Facebook auch als Informationsplattform.

Wobei zu beachten ist, dass der Informationsbegriff heute ein anderer ist: Denn während wir uns früher morgens mit Hilfe der Tageszeitung und am Abend der Tagesschau informiert haben, bevorzugen wir heute zunehmend individualisierte Nachrichten. Facebook liefert uns diese große Melange auf einer Plattform: Dort finde ich das neuste Update zu meiner Lieblingsserie, neben einem journalistischen Artikel über ein aktuelles Geschehen und den Bericht eines Freundes, der gerade auf Reisen ist.

Facebook bedient sich dabei der Tatsache, dass wir Menschen neugierige Wesen sind, die ständig ihre Umgebung beobachten. Es liefert uns einen beständigen Strom an Informationen über unsere soziale Umwelt. Das macht dieses soziale Netzwerk so erfolgreich.

Was unterscheidet Facebook von anderen sozialen Netzwerken?

Darauf gibt es keine eindeutige Antwort. Der Erfolg hat aber wohl auch mit der kritischen Größe von Facebook zu tun. Wir haben es hier wohl mit dem sogenannten Matthäus-Effekt zu tun: Wer hat, dem wird gegeben! Will heißen: Weil eben schon so viele Menschen bei Facebook sind, melden sich auch die anderen dort an. Ich gehe ja auch viel eher in eine Eckkneipe von der ich weiß, dass sie gut besucht ist, als in eine, wo nichts los ist. Da könnte ich nämlich genauso gut zuhause bleiben.

Die stärkste Kompetenz von Facebook ist die soziale Vernetzung. Die wichtigste Ressource des Netzwerkes sind seine Mitglieder. Facebook hat das schon früh begriffen, und weiß, wie es seinen Mitgliedern den höchsten sozialen Wert generiert.

Daher finde ich auch die Debatte darüber, dass bei Facebook zu viel preisgegeben wird bisweilen verwunderlich: Auf Facebook geht es ja gerade darum, von sich und seinem Leben zu berichten, also Privates preiszugeben. Man geht ja schließlich auch nicht auf eine Party, und setzt sich dann schweigend in eine Ecke. Auch in der Offline-Welt leben solche sozialen Aktivitäten davon, dass die Feiernden von sich und ihrem Leben erzählen. Facebook bietet dafür einen Rahmen.

Das soziale Netzwerk steht aber immer wieder aufgrund seines schlechten Datenschutzes in der Kritik. Wie kann man selbst seine Daten und seine Privatsphäre schützen und dennoch bei Facebook sein?

Das ist tatsächlich eine Gratwanderung und das Thema wird uns mit Sicherheit auch noch lange beschäftigen. Unsere Gesellschaft befindet sich diesbezüglich inmitten eines Lernprozesses. Die Grenzen der Privatsphäre und der Öffentlichkeit verschieben sich. Nicht nur auf Facebook, sondern in einer Mediengesellschaft ganz allgemein. Da braucht es ein neues Bewusstsein darüber, was wir preisgeben wollen und was nicht. Aber wir sollten uns auch vergegenwärtigen, dass sich die Kontrolle unserer Daten in mancher Hinsicht immer mehr unserer Kontrolle entzieht. Nehmen wir das Beispiel von Partyfotos: Wir selbst haben möglicherweise keine Probleme mit der Veröffentlichung des Bildes, aber was ist mit den Personen, die im Hintergrund zu sehen sind? Außerdem müssen wir uns der Nachhaltigkeit unserer Daten im Internet bewusst werden. Noch immer ist vielen nicht wirklich klar, dass eine einmal veröffentlichte Information, gleich welcher Art, nicht mehr zurückgeholt werden kann.

Aber das gilt ja nicht nur für Facebook, sondern betrifft doch alle Lebensbereiche. Daher bin ich dafür, dass wir diese Privatheitsdebatte nicht allein mit Bezug auf Facebook zu führen. Zumal viele von uns sich nicht weiter darüber aufregen, dass ihre Daten auch in vielen anderen Lebensbereichen gesammelt werden, zum Beispiel wenn sie ihre Payback-Karte verwenden, oder an einem Gewinnspiel teilnehmen. Gerade mit Blick auf die Enthüllungen durch Edward Snowden müssen wir erfahren, dass Facebook da vielleicht sogar unser kleinstes Problem ist.

Aber was ist mit Jugendlichen? Sollte man ihnen in der Schule zeigen, wie sie ihre Daten schützen können und wie sie mit sozialen Netzwerken umgehen sollten? Sollten Sie überhaupt Mitglieder bei Facebook sein?

An sich ist eine solche Medienerziehung eine tolle Idee, doch es ist fraglich, ob diese die erforderliche Qualität hätte. Der Grund dafür ist ziemlich einfach: Jene, denen man etwas beibringen will, also den Jugendlichen, sind mit Facebook großgeworden und kennen es oft besser als die Pädagogen. Und viele sind in Sachen Datenschutz kompetenter als man denkt. Meine Cousinen im Teenager-Alter, zum Beispiel, achten bei Facebook sehr genau darauf, wer was von ihnen erfährt. Sie haben ihre Privatsphäre-Einstellungen besser im Griff als ich. Ich glaube, dass eine solche – sicherlich wichtige – Medienerziehung vor allem dann von Nutzen wäre, wenn sie als Austausch, als Diskussion stattfindet, in der die Jugendlichen ihr Wissen und ihre Erfahrung untereinander und mit den Pädagogen austauschen können.

Was wir nicht tun sollten, ist unseren Kindern den Zugang zu Facebook schlicht zu verbieten. Denn damit schließen wir sie von einem Teil ihrer sozialen Umwelt aus. Wir verbieten unseren Kindern doch auch nicht mit den anderen Kindern im Park zu spielen. Kennen wir die anderen Kinder und die Gegend nicht, dann gehen wir anfangs mit und sehen uns alles genau an. Und genau das sollten wir auch bei Facebook tun: Wir sollten unsere Kinder vor den möglichen Gefahren warnen, doch dort agieren lasen. Und vor allem sollten Eltern stets eine Anlaufstelle sein, der sich das Kind anvertrauen kann, wenn ihm etwas komisch vorkommt. Aber das gilt nicht nur Facebook, sondern generell.

Bedeutet dass, dass niemand vor Facebook beschützt werden muss?

Ja, wenn man sich in einer normalen Gemütsverfassung befindet. Anders sieht es aus, wenn man gerade genervt oder depressiv ist. Denn, wer sich gerade sehr über seinen Chef aufregt, der sollte sich besser nicht bei Facebook einloggen. Genauso wenig, wie jemand, der gerade eine Trennung durchlebt oder aus anderen Gründen besonders dünnhäutig ist. Die Wahrscheinlichkeit, dass einem in solchen Situationen etwas Unüberlegtes herausrutscht, ist hoch und die Konsequenzen oft fatal. Denn ist der gute Ruf, die Karriere erst einmal durch eine unbedachte Äußerung ruiniert, dann ist das nicht mehr rückgängig zu machen.

Das gilt ja nicht nur für Privatpersonen, sondern eben auch für Unternehmen, die durch die sogenannten Shitstorms erfahren mussten, dass der an sich positive, hohe soziale Faktor bei Facebook eben auch die Form einer bisweilen hysterischen Erregungsmaschinerie annehmen kann.

Wie hat Facebook unser Leben verändert?

Die Welt ist durch Facebook näher zusammengerückt, da wir alle durch das Netzwerk potenziell erreichbarer geworden sind. Wenn man so will, dann ist Facebook das Netz im Netz, und viele der Eigenschaften, die man dem Internet insgesamt zuschreibt, finden sich in Facebook verwirklicht: die Begegnung mit Menschen am anderen Ende der Welt, der freie Meinungsaustausch über private und öffentliche Themen, das Pflegen sozialer Kontakte und vieles mehr. Zwar stellt sich hier auch die Frage der Nachhaltigkeit solcher virtuellen sozialen Kontakte, aber auch hierfür gilt: Unsere Gesellschaft wird insgesamt schnelllebiger.

Wie sah der typische Facebook-Heavy-User früher und wie sieht er heute aus?

So einfach lässt sich das nicht beantworten. Früher machte man die intensive Nutzung vor allem daran fest, wie viel Zeit man online verbrachte. Heute ist das schwieriger geworden, denn immer mehr Menschen sind permanent online. Wir sind über Smartphones und andere mobile Geräte stets mit dem Netz verbunden, und werden in Echtzeit über neue Nachrichten verständigt. Die mobile Nutzung wird auch für Facebook immer wichtiger. Der Großteil der aktiven Facebook-Nutzer verbindet sich auch mobil mit dem Netzwerk. So könnte man sagen, dass viele von uns heute zu Heavy Usern geworden sind. Facebook und andere sogenannte soziale Medien sind heute schlicht Bestandteil unseres Alltags geworden, genauso wie das früher mal mit dem Radio und dem Fernsehen geschehen ist.

Welche Prognose geben Sie Facebook – auch angesichts der Studie aus Princeton, die besagt, dass das Netzwerk bis 2017 einen rasanten Rückgang erfahren wird: 80 Prozent seiner Nutzer sollen laut Studie abspringen.

Zunächst einmal halte ich die Methodik dieser Studie für problematisch. Man muss anmerken, dass diese nicht in einer Fachzeitschrift veröffentlicht wurde.

Ich bezweifle aus mehreren Gründen, dass die Mitgliederzahlen bei Facebook auf absehbare Zeit dramatisch einbrechen. So legte Facebook gerade erst neue Zahlen vor, die belegen, dass weltweit im letzten Jahr knapp 16 Prozent mehr Nutzer hinzugekommen sind. Der Grund, warum der Altersdurchschnitt bei Facebook Nutzern steigt, liegt schlicht darin, dass nun auch ältere Personen hinzukommen. So wachsen die Altersgruppen ab 45 Jahren besonders stark. In Deutschland wächst Facebook übrigens weiterhin in allen Altersgruppen.

Darum glaube ich nicht an den baldigen Untergang von Facebook. Die Größe von mehr als einer Milliarde Nutzerinnen und Nutzern stellt ein gewaltiges soziales System dar, das sich schon aufgrund seiner Größe selbst stabilisiert. Natürlich ist das keine Garantie: StudiVZ ist das beste Beispiel dafür, dass auch große Netzwerke kippen können und von anderen ersetzt werden. Das sehe ich im Moment aber nicht bei Facebook. Obwohl man nicht vorhersehen kann, ob und wann eine zukünftige Innovation auf den Plan tritt, und den Anfang vom Ende von Facebook einläutet.

Was möchten Sie Facebook zum 10. Geburtstag mit auf den Weg geben?

Facebook ist zweifellos ein wichtiger, kaum mehr wegzudenkender Bestandteil unserer heutigen, modernen Kommunikationsinfrastruktur. Ich würde mir wünschen, dass das Unternehmen sich mit der damit einhergehenden Verantwortung mehr bewusst wird und sich dieser auch stellt. Das betrifft auch, aber nicht alleine, den sorgsamen Umgang mit den Nutzerdaten. Wer eine solche kritische Infrastruktur betreibt, hat eine großer Verantwortung, ob er will oder nicht.